Werden Fahrzeugflotten elektrifiziert, dann ändern sich die Spielregeln. Müssen Routen oder Fahrpläne angepasst werden? Wann, wo und mit welcher Leistung werden die Fahrzeuge nachgeladen? Mit solchen Fragen lassen die Elektrifizierungs-Experten von MAN Transport Solutions Flottenbetreiber nicht allein. Auf Grundlage einer detaillierten Analyse erstellen sie Einsatz- und Ladepläne, die auf den jeweiligen Anwendungsfall maßgeschneidert sind.
Nach der Tour ist vor der Tour. Und da muss es meistens schnell gehen – sei es bei einem Bus im öffentlichen Nahverkehr, sei es bei einem Lieferfahrzeug für die „letzte Meile“ in einer Stadt. Kaum hat der Fahrer sein Fahrzeug verlassen, da wird es auch schon gereinigt, einer Sichtkontrolle unterzogen und kurz auf seinen technischen Zustand hin geprüft: Sind Wartungs- oder Versorgungsarbeiten fällig? Vor allem aber wird das Fahrzeug wieder vollgetankt. Auf vielen Betriebshöfen geht das ganz einfach, weil eine Tankstelle vorhanden ist. Auch wenn das Ende einer Tour häufig mit dem Ende des Tages zusammenfällt und zwischen Betriebsende und Betriebsbeginn dann einige Stunden Nachtruhe liegen: Es dauert nicht lange, und das Fahrzeug ist wieder betriebsbereit für die nächste Schicht.
„Im täglichen Einsatz müssen Transportunternehmen viele Parameter rund ums Fahrzeug beachten. Werden Flotten elektrifiziert, dann gibt es neue Spielregeln.“Stefan Sahlmann
Leiter MAN Transport Solutions
Projektverlauf am Beispiel einer Busflotte im ÖPNV
Konzepte und Lösungen für die Elektrifizierung von Flotten
Entscheiden sich Flottenbetreiber dazu, Teile ihres Fuhrparks zu elektrifizieren, dann ändern sich Abläufe wie diese. „Im täglichen Einsatz müssen Transportunternehmen viele Parameter rund ums Fahrzeug beachten“, sagt Stefan Sahlmann. „Werden Flotten elektrifiziert, dann gibt es neue Spielregeln.“ MAN hat deswegen ein Serviceangebot mit dem Namen „MAN Transport Solutions“ ins Leben gerufen. Seit zweieinhalb Jahren arbeitet unter Stefan Sahlmanns Leitung ein Team von einem halben Dutzend Experten an Konzepten und Lösungen für die Elektrifizierung von Flotten. Dabei berücksichtigen die MAN-Berater vor allem die individuellen Betriebsbedingungen ihrer Kunden, die sehr spezifisch sein können. Bei Nahverkehrsunternehmen geht es derzeit um den Einsatz des elektrischen Stadtbusses MAN Lion’s City E, bei Paketdienstleistern um den elektrischen Van der Baureihe MAN eTGE, in Zukunft aber auch um den MAN eTruck. „Mit der Beratungsleistung rücken wir noch näher an unsere Kunden“, sagt Sahlmann. „Das ist allein deswegen sinnvoll, weil wir uns mit den E-Fahrzeugen bestens auskennen. Die wollen wir jetzt nicht mehr nur an unsere Kunden verkaufen, sondern sie auch bei der Einsatzplanung und somit dem Einstieg in die E-Mobilität optimal unterstützen.“
Und der ist keineswegs trivial. Zunächst analysieren die MAN-Experten das jeweilige Routensystem, die Fahrpläne sowie die Zeit- und Ablaufpläne. Dann nehmen sie die jeweilige Auslastung und die Beladungszustände der Fahrzeuge unter die Lupe. Weitere wichtige Parameter sind Umweltbedingungen wie beispielsweise die Topografie der Strecken und die klimatischen Bedingungen. „Hinsichtlich Energieverbrauch ist es ein großer Unterschied, ob ein Transporter im Frühjahr im Flachland der Niederlande unterwegs ist oder ob er im Winter eine Bergstrecke in der Schweiz bewältigen muss“, erklärt Sahlmann.
Sind alle Daten ausgewertet, dann erstellen die Berater von MAN Transport Solutions Einsatzpläne für die E-Fahrzeuge. Wie viel elektrische Energie wird zu welchem Zeitpunkt wo benötigt? Werden die Fahrzeuge ausschließlich im Depot nachgeladen oder ist dies auch auf der Strecke im öffentlichen Raum notwendig? Welche Ladeleistung ist vorzusehen und welche Ladedauer zu kalkulieren? Antworten darauf geben die Datenanalysen von MAN Transport Solutions. Liegt beispielsweise eine Tagestour innerhalb der möglichen Reichweite des E-Fahrzeugs – auch unter den ungünstigsten Bedingungen, die auf der Strecke möglich sind –, dann kann auf das Nachladen unterwegs verzichtet werden. „Manche Strecken lassen sich eins zu eins vom dieselmotorischen Antrieb auf Elektroantrieb umstellen“, berichtet Sahlmann. „Bei anderen Strecken sind Ladepausen zu planen oder zusätzliche Fahrzeuge vorzusehen. Manchmal ist es auch hilfreich, die Routenführung auf den Einsatz der E-Fahrzeuge hin zu optimieren.“
Ganzheitlicher Ansatz
Neben der direkten Einsatzplanung entwickeln die MAN-Experten mit ihren Kunden Schulungskonzepte für das Wartungs- und Servicepersonal, um es mit den besonderen Anforderungen der Elektrofahrzeuge vertraut zu machen. Eine wichtige Rolle spielt außerdem häufig auch die Frage, woher die elektrische Energie bezogen werden kann. Denn hinter dem Einsatz der E-Fahrzeuge steht meist das Bestreben, den Fahrbetrieb eines Tages CO2-neutral zu realisieren – und das ist nur mit Strom aus regenerativen Quellen möglich. Ein Teil des Strombedarfs kann beispielsweise häufig durch Eigenproduktion abgedeckt werden, etwa durch eine Solaranlage auf dem Dach von Betriebshof oder Depot.
In den vergangenen Jahren hat MAN Transport Solutions bereits mehr als 60 Projekte in ganz Europa umgesetzt, etwa in Schweden, Deutschland, Frankreich, Spanien und Polen. In der Schweiz begleiten die MAN-Berater derzeit den Einsatz von elf MAN eTGE Elektrovans mit 36 kWh Batteriekapazität. Sie wurden im Juni 2019 an die Schweizerische Post übergeben und verrichten seither ihren Dienst im Berner Nachbarort Ostermundigen, in Genf und in St. Gallen am Bodensee. „Die Swiss Post hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2020 ihren CO2-Ausstoß gegenüber 2010 um 25 Prozent zu reduzieren. Bis 2050 will das Staatsunternehmen komplett CO2-neutral unterwegs sein“, erläutert Sahlmann. „Unser Projekt fing mit einer Machbarkeitsstudie der Elektrifizierung an, und mittlerweile haben wir auf Grundlage einer Standortanalyse ein Stufenmodell zur vollständigen Flottenelektrifizierung ausgearbeitet.“
„Unser Projekt fing mit einer Machbarkeitsstudie der Elektrifizierung an, und mittlerweile haben wir auf Grundlage einer Standortanalyse ein Stufenmodell zur vollständigen Flottenelektrifizierung ausgearbeitet.“Stefan Sahlmann
Leiter MAN Transport Solutions
In den kommenden vier Jahren wollen die Schweizer bereits bis zu 400 elektrische Vans in der Paketauslieferung einsetzen. „Schon jetzt stellen wir fest, dass E-Fahrzeuge in deutlich mehr Anwendungsfällen eingesetzt werden können als ursprünglich angenommen“, berichtet Sahlmann. „Häufig geht man ja intuitiv erst mal von den höchsten Anforderungen aus, etwa an die Reichweite – obwohl dieser Bedarf bei genauer Betrachtung in vielen Fällen gar nicht entsteht.“
Den Einsatz eines Elektrobusses planen die MAN-Experten gegenwärtig mit den Verkehrsbetrieben Hamburg-Holstein (VHH): Ab Ende 2019 wollen sie im Hamburger Stadtteil Bergedorf einen zwölf Meter langen MAN Lion’s City E mit 37 Sitzplätzen, 480 kWh Batteriespeicher auf dem Dach und 150 kW Ladeleistung in einem Feldversuch auf die Reise schicken. Geladen wird dann im Depot – aber auch hier ist Planungsarbeit erforderlich. Denn der Lion’s City E wird nicht allein bleiben – die VHH haben zum Jahresende 2020 bereits 17 weitere Fahrzeuge bestellt. Das MAN-Beraterteam steht bereit: „Anders als beim Individualverkehr sind die Abläufe von Nutzfahrzeugflotten meist gut planbar“, sagt Sahlmann. „Darin liegt die große Chance.“