Mit einem Prototyp des elektrisch angetriebenen e-Delivery von Volkswagen Caminhões e Ônibus liefert die Brauerei Ambev seit einem Jahr Bier und andere Getränke an Gastronomiebetriebe in São Paulo aus. Die Tour mit einem Fahrer zeigt: Der e-Delivery ist schon jetzt alltagstauglich – und bietet die Chance für einen lokal emissionsfreien und nachhaltigen Lieferverkehr.
Eigentlich würde Anderson Soares de Campos jetzt gerne mit seinem Transporter losfahren. Gerade hat er in der „Santo Cupido Bar“ ein paar Kisten Corona-Bier und Guaraná-Limonade abgeliefert, die blechernen Rollläden an seinem Truck geschlossen, ist eingestiegen und hat den Motor gestartet. Doch die beiden Passanten, die mit Smartphone am Ohr direkt vor seiner Kabine stehen, bewegen sich nicht. Er wartet, gestikuliert durch die Scheibe. Erst, als er vorsichtig auf die Hupe tastet, schrecken sie hoch – und überqueren schnell die Straße. Anderson nutzt eine Lücke im dichten Verkehr und fädelt sich ein. „Das passiert regelmäßig“, erzählt der 39-jährige Brasilianer, der seit zwei Jahren für den Braukonzern Ambev Bier ausfährt. Seit einigen Wochen nutzt er für seine Lieferfahrten in São Paulo den Prototyp des e-Delivery, eines elektrisch angetriebenen Transporters von Volkswagen Caminhões e Ônibus. „Die Menschen hören den Motor nicht, sie riechen nichts – und merken gar nicht, dass ich losfahren will.“
Wir sind im Stadtviertel Itaim unterwegs. Abends ist es ein belebtes Ausgehviertel, tagsüber suchen Angestellte hier ihre Büros auf. Um Anderson herum: Menschen mit ihren Autos im morgendlichen Dauerstau. Interessiert blicken sie auf den Biertransporter. „Der erste elektrische Truck der Amerikas, angetrieben mit 100 Prozent nachhaltig erzeugter Energie“, steht auf Andersons Lieferwagen. Daneben prangen die Namen der beiden beteiligten Firmen, von „Volkswagen Caminhões e Ônibus“ und von „AMBEV“, der brasilianischen Tochter des weltgrößten Braukonzerns Anheuser-Busch InBev.
Leichte Nutzfahrzeuge stark nachgefragt
Volkswagen Caminhões e Ônibus entwickelt seinen vor zwei Jahren neu in den Markt gebrachten Delivery zum Elektrofahrzeug weiter. Der Nutzfahrzeughersteller rechnet damit, dass das Segment der leichten Nutzfahrzeuge in Brasilien künftig am stärksten wachsen wird. Der Stadttransporter mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 14 Tonnen wird eingesetzt, um den Einzelhandel und die Gastronomie, aber auch Krankenhäuser, Schulen und öffentliche Gebäude zu beliefern. Das Geschäft blüht auch aufgrund des rasch wachsenden Internethandels.
Der neue Delivery wurde bereits in der Entwicklungsphase so konzipiert, dass er später auch als elektrifiziertes Fahrzeug angeboten werden kann. Andersons Prototyp wird nun im Alltagsbetrieb bei Ambev getestet. Ab Ende 2020 sollen die ersten e-Delivery als Serienmodell bei Volkswagen Caminhões e Ônibus in Resende, einer Stadt im Bundesstaat Rio de Janeiro, vom Band laufen. Der Braukonzern hat bereits angekündigt, 1.600 E-Fahrzeuge bestellen zu wollen – es wäre der weltweit größte Auftrag für elektrisch angetriebene Transporter.
Der Elektroantrieb eignet sich besonders gut für städtische Lieferfahrten, weil pro Tour relativ kurze Strecken gefahren werden. Anderson ist pro Tag nur etwa 50 Kilometer auf den Straßen São Paulos unterwegs. Damit liegt er deutlich unter der Reichweite des e-Delivery, mit dem er bis zu 200 Kilometer weit fahren könnte. Die rund 6,5 Tonnen Fracht, die er am Morgen in einem Depot im Osten der Stadt geladen hatte, sind schon beinahe ausgeliefert – und die Batterie ist noch zu drei Vierteln voll. Insgesamt ist der Prototyp des e-Delivery in den letzten zwölf Monaten rund 15.000 Kilometer in São Paulo unter realen Bedingungen gefahren, um die Produkte von Ambev auszuliefern und dabei die Systeme zu testen.
„Bisher haben wir uns um Nachhaltigkeit innerhalb der Fabriktore gekümmert. Jetzt wollen wir auch die Lieferketten einbeziehen.“Guilherme Gaia
Direktor für Nachhaltigkeit und Einkauf, Ambev
Für Ambev ist der e-Delivery ein wichtiger Teil der Nachhaltigkeitsstrategie. Bis 2025 will der Mutterkonzern Anheuser-Busch InBev weltweit seinen Kohlendioxidausstoß um 25 Prozent senken. Ein Drittel der Flotte in Brasilien soll daher künftig elektrisch betrieben werden. Guilherme Gaia, Direktor für Nachhaltigkeit und Einkauf von Ambev, sieht die E-Trucks aber nicht nur als elektrisch betriebene Transporter. Sie symbolisieren auch, wofür der Bierkonzern künftig stehen will. „Bisher haben wir uns um Nachhaltigkeit innerhalb der Fabriktore gekümmert“, sagt Gaia. „Jetzt wollen wir auch die Lieferketten einbeziehen.“ So wird Ambev mit 31 Solarkraftwerken in Brasilien eigenen Strom herstellen – und will diesen Naturstrom auf die „letzte Meile“ bringen. „Wir betrachten den Gewinn an Lebensqualität für die gesamte Gesellschaft“, sagt Gaia. „Es geht uns auch um niedrigere Stickoxidwerte, weniger Feinstaub und einfach weniger Lärm in den Städten.“ Für Gaia ist auch die Symbolik wichtig: „Ein brasilianischer Braukonzern entwickelt gemeinsam mit den brasilianischen Ingenieuren von Volkswagen Caminhões e Ônibus das weltweit erste Gesamtkonzept eines elektrifizierten und nachhaltig betriebenen Massentransporters“, sagt er nicht ohne Stolz.
50 weitere Kunden am e-Delivery interessiert
São Paulos Verkehr ist laut. Doch er wirkt noch lauter, wenn man in einem Elektro-Truck unterwegs ist. Noch steht Anderson meist mit den anderen Fahrzeugen im Stau. Doch die Spediteure hoffen, mit leisen Elektro-Lieferwagen wie dem e-Delivery künftig auch nachts ausliefern zu können – wegen des Lärms ist das heute noch verboten. Dabei würden über 24 Stunden verteilte Lieferungen den Verkehr der Metropole entlasten. Zwar sind die Gebäude in den vergangenen Jahren gewachsen, jedoch nicht die Straßen.
Schon seit 20 Jahren arbeitet Volkswagen Caminhões e Ônibus mit Ambev zusammen und entwickelt Fahrzeuge, die exakt den Ansprüchen des Braukonzerns entsprechen. „Die Kunden vertrauen uns“, sagt Roberto Cortes, CEO von Volkswagen Caminhões e Ônibus. Die nun auch in Brasilien antretenden Wettbewerber aus Asien sorgen ihn nicht. „Es zeigt vielmehr, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wenn andere Anbieter hier auch in den Markt wollen“, sagt Cortes. „Doch wir kennen die lokalen Verhältnisse und unsere Kunden besser.“ Nicht weniger als 50 weitere Kunden haben bereits ebenfalls ihr Interesse am e-Delivery angemeldet.
Ganz nebenbei bringt der Elektroantrieb auch noch Fahrspaß mit, jedenfalls wenn der Stau vorbei ist. Kurz nach der Rushhour sind die Straßen wie leergefegt, Anderson kann den e-Delivery beschleunigen. 220 Kilowatt und ein Spitzen-Drehmoment von mehr als 2.000 Newtonmetern sorgen für eine Beschleunigung wie in einem Sportwagen. Zwei Jungmanager im Sport-Coupé sind sichtlich beeindruckt, als sie Anderson an einer Ampel wieder eingeholt haben. Doch der lädt bereits die nächsten Bierkisten ab.