Zum Erfolg von Scania trägt auch eine besondere Herangehensweise bei der Entwicklung und Produktion von Nutzfahrzeugen bei. Das „Byggladan-Prinzip“, abgeleitet vom schwedischen Begriff für „Baukasten“, setzt auf möglichst viele Gleichteile, um daraus die vielfältigen kundenspezifischen Varianten abzuleiten.

Text: Mathias Heerwagen

Auf den ersten Blick sieht es ganz simpel aus. Motor, Getriebe, Achsen, Fahrwerk, Rahmen und schließlich das Fahrerhaus: Ein Lkw besteht aus relativ wenigen, großen Modulen. Stattet man diese mit standardisierten Schnittstellen aus, dann sind sie leicht austauschbar. Auf diese Weise ist es möglich, aus einigen wenigen Systemen viele verschiedene Fahrzeuge zu produzieren. So lässt sich – vereinfacht gesagt – das „Byggladan-Prinzip“, das Baukastensystem von Scania, zusammenfassen.

„Ganz so einfach ist unser Erfolgsrezept dann doch nicht“, relativiert Hans Holmlöv und fährt fort: „Aber die Modulbauweise stellt eine Win-win-Situation dar: für den Kunden und für Scania. Denn trotz standardisierter Komponenten können wir spezifische und maßgeschneiderte Lösungen für jeden Einsatzzweck anbieten.“ Holmlöv muss es wissen, der Maschinenbauingenieur arbeitet seit 35 Jahren bei Scania in Södertälje. Er weiß, dass eine standardisierte Serienproduktion und kundenspezifische Fahrzeugvarianten kein Widerspruch sein müssen.

Scania Konstrukteure

Der größte Vorteil des Byggladan-Prinzips: Für jeden Einsatzzweck lässt sich das passende Fahrzeug bauen – unabhängig von der Stückzahl.

„Auf einem Montageband in Södertälje können Millionen verschiedener Kombinationen gebaut werden.“
Hans Holmlöv
Maschinenbauingenieur, Scania

Der größte Vorteil des Byggladan-Prinzips: Für jeden Einsatzzweck lässt sich das passende Fahrzeug bauen, und zwar unabhängig von der Stückzahl. „Selbst wenn ein Kunde nur einen einzigen, sehr speziellen Lkw braucht, können wir ihn aus den vorhandenen Modulen zusammenstellen“, erklärt Holmlöv nicht ohne Stolz. So kann Scania auch Nischenprodukte und Kleinserien wettbewerbsfähig produzieren. Beispiele dafür sind Nutzfahrzeuge für besondere Einsatzzwecke, etwa für die Feuerwehr, den Winterdienst oder für Spezialbaufirmen. Ein Lkw mit sechs Achsen – vier davon angetrieben –, kombiniert mit dem kräftigen V8-Motor, einem tiefem Fahrgestell und einem kleinem Fahrerhaus: Auch solche ungewöhnlichen Kombinationen sind dank Modularität einfach zu entwickeln und zu produzieren. Wie viele Varianten theoretisch denkbar sind, hat Hans Holmlöv gar nicht ausgerechnet. Sicher ist aber: „Auf einem Montageband in Södertälje können Millionen verschiedener Kombinationen gebaut werden.“

Gleichteile-Strategie spart Kosten

Für einen Premiumanbieter ist es wichtig, neue Funktionen und Produktoptimierungen so zeitnah wie möglich auf den Markt zu bringen. Bei Scania erfolgt das sukzessive: „Wann immer unsere Ingenieure etwas neu entwickelt haben, lässt sich das schnell in die Serie überführen“, sagt Holmlöv. Neue Funktionen bedeuten jedoch nicht zwangsläufig mehr Teile. Aus durchschnittlich rund 25.000 Einzelteilen bestand ein Scania der vorherigen Generation, etwa 22.000 sind es bei der aktuellen. Eine Reduzierung um elf Prozent, bei einer gleichzeitig gestiegenen Anzahl an Produktvarianten. Ein weiterer Vorteil: Mit der Modularität geht auch eine geringere Anzahl an unterschiedlichen Ersatzteilen einher. Die Gleichteile-Strategie überträgt Scania auch auf Busse. So kann die lenkbare Vorderachse einer Zugmaschine ebenfalls als Nachlaufachse in einem Bus verbaut werden. Hohe Stückzahlen gehen auch hier mit einer günstigeren Kostenstruktur einher. Scania benötigt zudem weniger Zulieferer, deren Produkte sich besser kontrollieren lassen. Das garantiert eine hohe Produktqualität.

Zwei Frauen vor einem Scania Führerhaus

Aus rund 25.000 Einzelteilen bestand ein Scania der vorherigen Generation, etwa 22.000 sind es bei der aktuellen.

Sinnvolle Entwicklungskooperationen

„Oft werden wir gefragt: Wenn das System so überzeugend ist, warum machen es die anderen Hersteller nicht auch so?“, berichtet Holmlöv. Die Antwort lautet: weil es eben doch nicht so einfach ist. Das Byggladan-Prinzip nutzt Scania bereits seit den 1930er Jahren. Damals waren in allen Motoren die Zylinder identisch. Seit den 1980er Jahren setzt Scania auf ein vollständig modulares Baukastensystem. Scania hat über viele Jahrzehnte hinweg ein einzigartiges System entwickelt und perfektioniert. Das lässt sich nicht einfach so übernehmen. „Die jungen Ingenieure, die von der Universität kommen, können zwar alle gut mit CAD-Systemen arbeiten. Aber Modularität steht an den Hochschulen nur selten auf dem Lehrplan“, sagt der studierte Maschinenbauer. Tatsächlich stellt das Modulkonzept für die Ingenieure eine Herausforderung dar. Eine Komponente zu konstruieren, die in vielen Nutzfahrzeug-Modellen und sogar in Lkw und Bussen zugleich eingesetzt werden kann, ist durchaus knifflig.

Ingenieur kontrolliert die Fahrzeugunterseite

Scania hat über Jahrzehnte hinweg ein einzigartiges System perfektioniert.

Innerhalb der TRATON GROUP spricht vieles dafür, bei künftigen Neuentwicklungen bei Scania und MAN nicht mit einem leeren Blatt Papier zu beginnen. „Gerade die modulare Denkweise bietet zwei Unternehmen die Chance, voneinander zu lernen. Und beide haben ja einen reichen Erfahrungsschatz“, sagt Hans Holmlöv. Es ist beispielsweise kaum sinnvoll, mit hohem Aufwand unterschiedliche Achsen, Getriebe und Motoren für den gleichen Einsatzzweck zu entwickeln. Kooperationen senken sowohl Entwicklungs- als auch Produktionskosten.

Mit der „Common Base Engine 1“ entwickeln MAN und Scania derzeit gemeinsam eine Motorenplattform für schwere Nutzfahrzeuge. Während die Kunden von einem hocheffizienten Aggregat profitieren, sparen die beiden Nutzfahrzeughersteller beträchtlich an Investitions- und Materialkosten. Der Motor soll Mitte der 2020er Jahre in jedem zweiten Lkw eingesetzt werden. Auch bei der Entwicklung des gesamten Antriebsstrangs ergeben sich Synergien: Als Modul konzipiert, kann er universell in Lkw und Bussen eingesetzt werden.

Ergebnisse aus der markenübergreifenden Kooperation wird Hans Holmlöv noch während seiner aktiven Zeit bei Scania erleben. Mit seinen 65 Jahren könnte er zwar bereits in Rente gehen. Er hat sich jedoch entschieden, freiwillig ein, vielleicht sogar zwei Jahre länger zu arbeiten. Ganz offenbar hat ihn das Byggladan-Prinzip noch fest im Griff.

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