Die Elektromobilität erreicht auch die legendären, gelben Schulbusse in Nordamerika. Mitte 2021 hat Marktführer IC Bus, der zur TRATON GROUP-Marke Navistar gehört, seine ersten vollelektrisch angetriebenen Busse auf die Straße gebracht. Wie kommt das an? Ein Erfahrungsbericht aus einem Schuldistrikt in Castlegar, der im äußersten Süden British Columbias wenige Meilen nördlich der US-Grenze liegt.

Text: Dirk Böttcher

Durch bergiges Terrain windet sich die Route 3 zwischen den kanadischen Metropolen Vancouver und Calgary. Die umliegenden Hügel sind von üppigen Wäldern bewachsen. Jetzt, im Oktober, leuchten sie in bunten Herbstfarben. Vor dieser überwältigenden Kulisse biegt ein nagelneuer Schulbus in die Kleinstadt Castlegar ein. Das gelbe Fahrzeug der CE-Serie von IC Bus im klassischen, ikonischen Design fährt nahezu lautlos, nur ein leichtes Surren ist zu hören. Es handelt sich um einen der ersten 18 rein elektrisch angetriebenen Schulbusse, die in der Provinz British Columbia für den „Schuldistrikt 20“ angeschafft wurden.

Mehr als 3.000 Schulbusse werden jährlich in Kanada verkauft. Ein Großteil kommt vom US-amerikanischen Unternehmen Navistar und dessen Marke IC Bus, die seit 2021 zur TRATON GROUP gehören. Ebenfalls in diesem Jahr hat der nordamerikanische Markführer für Schulbusse die ersten vollelektrischen Fahrzeuge auf den Markt gebracht.

Das elektrische Amaturenbrett des Schulbusses

Neues Fahrgefühl, vertrauter Anblick: Die Anzeigen des elektrischen Busses brauchen nur wenig Umgewöhnung.

Kinder betreten den elektrischen Schulbus

Leise zur Schule: Für die Kinder und Fahrer ein ganz neues Gefühl.

Electric Powered

Insgesamt 18 elektrische Busse werden in British Columbia ausgeliefert.

Lachende Kinder im Schulbus

Stolz auf den Beitrag zum Klimaschutz: Die Kinder sind begeistert vom neuen Bus.

Schulbus fährt eine Allee entlang

In Kanada werden jährlich mehr als 3.000 Schulbusse verkauft, davon 44 Prozent von IC Bus.

„Wir verändern eine gesamte Industrie, bauen ein völlig neues Ökosystem auf und können engere und nachhaltigere Beziehungen zu unseren Kunden eingehen.“
Jason Gies
Vice President, eMobility Business Development bei Navistar

Engere Kundenbeziehungen

„Wir verändern eine gesamte Industrie“, erklärt Jason Gies begeistert. „Wir bauen ein völlig neues Ökosystem auf und können engere und nachhaltigere Beziehungen zu unseren Kunden eingehen.“ Gies leitet bei Navistar den Bereich eMobility Business Development, zu dem auch die Entwicklungsabteilung für elektrische Schulbusse gehört. Diesen Bereich aufzubauen, nennt er „eine Chance, die man nur alle 100 Jahre bekommt“.

Damit das gelingt, hat der Unternehmensbereich NEXT eMobility Solutions von Navistar die 5 C-Strategie entwickelt, die den Kunden den erfolgreichen Umstieg auf Elektrofahrzeuge ermöglichen soll. Die 5 C stehen für Consulting, Construction, Charging, Connectivity und Conservation – also Beratung, Bau, Laden, Konnektivität und Werterhalt.

Was das vor Ort bedeutet, wird an Pionieren wie Robert Brown, IC Bus Regional Sales Manager von Navistar Canada, und seinem Kollegen Cam Stauffer deutlich. Als Technical Service Manager reiste Stauffer mitten in der COVID-19-Pandemie zwischen Ontario und British Columbia hin und her, um die Verantwortlichen im Schuldistrikt 20 zu trainieren. Dabei musste er sich selbst laufend auf dem neuesten Stand der Technik halten, um mit den späteren Nutzern beispielsweise ein optimales Konzept für das Laden und die Wartung der Fahrzeuge zu entwickeln.

Kind springt aus dem vollelektrischen Schulbus

Von außen ist der elektrische Bus kaum von seinem Diesel-Pendant zu unterscheiden.

Hand steckt Ladestecker in elektrischen Schulbus

Die passende Ladeinfrastruktur gehört bei Navistar zum Rundumpaket bei der Einführung elektrischer Schulbusse.

Der Markteintritt in dieser sehr ländlichen Region British Columbias ist kein Zufall. „Der einfachere Weg wäre sicher Südkalifornien gewesen, wo immer gutes Wetter ist und die Bevölkerung ohnehin schon sehr ökologisch denkt“, erklärt Robert Brown. „Wir wollten mit dem gesamten Team aber zeigen, dass unser Produkt auch in einer herausfordernden Gegend funktioniert.“ Mit ihrem weiten Einzugsgebiet ist die 10.000-Einwohner-Stadt Castlegar wie geschaffen für dieses Vorhaben. Hier gilt es, Berge zu überwinden und die ungemütlich frostigen Wintermonate zu überstehen.

Herausforderung Ladeinfrastruktur

„Wenn ein Elektrobus in Castlegar verlässlich einsetzbar ist, dann fährt er überall sonst auch“, bestätigt Jason Gies. Eine besondere Herausforderung ist die Ladeinfrastruktur. „Unser Ziel ist, die erforderlichen Ladestationen bereits installiert zu haben, noch bevor wir einen Elektro-Bus ausliefern“, sagt Gies und fügt hinzu: „Das ist leichter gesagt als getan.“ Navistar benötigt Partner für den Aufbau der Ladestationen. Meist sind es die regionalen Energieunternehmen. „Dabei müssen wir auf Gegebenheiten vor Ort reagieren“, betont Gies. „Eine Standardlösung gibt es nicht.“ Für die Zukunft arbeiten die Partner auch an Lösungen mit Solarpaneelen, mit denen die Kunden ihren Strom selbst produzieren können.

Langfristige Planung

Mit entsprechend viel Vorlauf muss der Verkauf von E-Schulbussen geplant werden. „Wir sagen den Kunden: Wenn Sie in fünf Jahren Elektrobusse anschaffen wollen, dann lassen Sie uns jetzt über das Thema Laden reden“, berichtet Gies. Neben der produktseitigen Hilfestellung berät Navistar auch zu Fördermöglichkeiten. „Wir kennen die Programme in den einzelnen Bundestaaten und Provinzen“, sagt Gies. Die Subventionen erleichtern den Schuldistrikten die Anschaffung der Elektrobusse, die schließlich deutlich teurer sind als ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor.

In die Rechnung der Schulbus-Betreiber geht aber nicht nur die Förderung ein. „Die verbleibenden Mehrkosten beim Erwerb amortisieren sich schnell wieder“, berichtet Lisa Phillips, Managerin im Transportation Department für Schuldistrikt 20. „Durch die Elektrofahrzeuge sparen wir einen der Hauptkostentreiber, den Dieselkraftstoff. Auch der Wartungsaufwand ist viel geringer, da es beispielsweise keine Getriebe mehr gibt und die Bremsen weniger beansprucht werden.“ Navistar und IC Bus haben dazu neue Werkzeuge und Wartungsprozesse entwickelt. Und die Mitarbeiter des Schuldistrikts werden im Umgang mit der elektrischen Antriebstechnologie geschult, denn erst wenige Mechaniker sind bereits im Umgang mit Hochspannungstechnologie ausgebildet.

Mehr als
3000
Schulbusse werden jährlich in Kanada verkauft.
Carlie O’Brien am Steuer des elektrischen Schulbusses

Carlie O’Brien fährt seit 15 Jahren Schulbusse, seit einem Monat elektrisch. Ihr macht das neue Fahrgefühl „einfach Spaß“.

Neue Geräuschkulisse

Lisa Phillips hat für ihren Schuldistrikt in Castlegar bei der Einführung der Elektrobusse mitgewirkt. Die 40-Jährige kümmert sich um das Flottenmanagement, die Fahrer, die Routenplanung, die Wartungen – eigentlich um fast alles. „Die Kollegen von Navistar haben einen tollen Job gemacht“, sagt Phillips. „Sie waren immer da, haben uns geholfen, mit uns fast zwei Jahre lang gemeinsam geplant und uns geschult, damit wir zu Spezialisten für Elektrobusse werden.“ Eine Herausforderung waren zum Beispiel die Aufsichtsbehörden, die noch nicht über standardisierte Tests für die Zulassung der elektrischen Fahrzeuge verfügten.

Doch der Einsatz lohnt sich, denn der Bus kommt bei Nutzern gut an. „Die Schülerinnen und Schüler lieben die neuen Elektrobusse. Sie sind richtig stolz, einen Beitrag zum Klimaschutz leisten zu können“, berichtet Phillips. Auch die neue Geräuschkulisse fasziniert: „Bei den ersten Testfahrten saßen wir im Bus und beim Starten hörte man einfach nichts“, erinnert sich Philips. „Alle fragten sich, ist der Bus nun an oder nicht?“ Dann musste der Bus den Härtetest durch die Berge bestehen. Mit Erfolg, sagt Phillips: „Auch da hat er die versprochene Reichweite von etwa 200 Meilen geschafft.“ Carlie O’Brien fährt den Elektrobus seit einem Monat, sie hat gerade eine Tour nach Castlegar beendet. Nach 15 Jahren im Diesel-Schulbus spricht sie nun von einem ganz neuen Fahrgefühl: „Das Fahrzeug spricht extrem gut an, das Handling ist einfach, das Bremssystem fantastisch – es macht einfach Spaß, den Elektrobus zu fahren.“

„Das Fahrzeug spricht extrem gut an, das Handling ist einfach, das Bremssystem fantastisch – es macht einfach Spaß, den Elektrobus zu fahren.“
Carlie O’Brien
Busfahrerin, Schuldistrikt 20, Kanada

Nachladen über Nacht

Geladen werden die Busse in Castlegar über Nacht. Das funktioniert sehr gut und lässt sich sogar vom Navistar-Standort für E-Mobilität in Michigan nachverfolgen. „Wir sagen hier scherzhaft, dass wir erst ins Bett gehen, wenn wir sehen, dass alle Busse da draußen an ihren Ladestationen stehen“, sagt Jason Gies mit einem Schmunzeln. Mittelfristig will Navistar jährlich Busse in fünfstelliger Zahl ausliefern. Die Kapazitäten werde man am Produktionsstandort in Tulsa aufbauen. „Wie fertigen im Unterschied zu anderen Wettbewerbern alle unsere Fahrzeuge selbst“, sagt Gies. „Derzeit laufen in der Fabrik Verbrennungsmotoren und E-Busse parallel auf den Produktionslinien. Aber je nachdem, wie sich der Bedarf entwickelt, können wir die E-Bus-Fertigung jederzeit hochskalieren.“

Navistar

Navistar ist mit seiner Marke IC Bus Marktführer für Schulbusse in Nordamerika. Das Marktvolumen liegt in den USA bei jährlich circa 30.000 Fahrzeugen, in Kanada bei 3.000. Damit erreicht IC Bus in Kanada einen Marktanteil von 44 Prozent, in ganz Nordamerika sind es mehr als 37 Prozent. Neben der Bus-Sparte, die außer Schulbussen auch kommerzielle Busse herstellt, sind Trucks der Marke International das zweite Geschäftsfeld von Navistar. Um emissionsfreie Antriebssysteme zu entwickeln und das Geschäft mit emissionsfreien Fahrzeugen für IC Bus und International Trucks voranzutreiben, hat Navistar den Unternehmensbereich NEXT eMobility Solutions gegründet. Navistar produziert alle Fahrzeuge und Antriebe selbst. Die Produktionsstandorte befinden sich in Tulsa, Oklahoma, in Springfield, Ohio, in Huntsville, Alabama und in Escobedo in Mexico. Ein weiterer Standort wird bald in San Antonio, Texas, eröffnet. Navistar gehört seit Mitte 2021 zur TRATON GROUP.