Fast hundert Prozent seines Stroms erzeugt Norwegen mit klimafreundlicher Wasserkraft. Dank der außergewöhnlich hohen Verfügbarkeit von grüner Energie ist das Land ein ideales Testfeld für emissionsfreien Transport. Gemeinsam mit dem Lebensmittel-Großhändler ASKO erprobt Scania in Oslo den Einsatz batterieelektrischer Lieferfahrzeuge. Die ersten mittelschweren Lkw sind bereits auf der Straße unterwegs.

Text: Florian Lehmann

Oslo, 6 Uhr morgens, auf einem Betriebshof des norwegischen Lebensmittel-Großhändlers ASKO. In klirrender Kälte verladen einige Logistikfachkräfte gerade die letzten Kisten mit frischem Obst und Gemüse in ein gutes Dutzend Zustellfahrzeuge, denn die Waren müssen pünktlich bei den Lebensmittelmärkten angeliefert werden. Die meisten mittelschweren Lkw sind abfahrbereit, die ersten verlassen gerade das im Osten der Stadt gelegene Verteilzentrum. Doch nicht alle Fahrzeuge tun dies mit dem charakteristischen Brummen eines Dieselmotors. Nur mit einem leisen Surren bewegt sich ein batterieelektrischer Scania 25P BEV von einer Stromtankstelle in Richtung eines klimatisierten Aufliegers. Vor der Abfahrt schließt der Fahrer das Klimaaggregat seines Trailers noch an die Batterie seines Lkw an, dann verlässt auch er das Verteilzentrum in Richtung Innenstadt – gefolgt von einem zweiten Scania Leisetreter.

ASKO Truck lädt Batterien

ASKO will seine Flotte bis 2026 fossilfrei betreiben und setzt dabei vor allem auf batterieelektrische Fahrzeuge.

Batterie versorgt Elektromotor und Kühleinheit

Als Lebensmittel-Großhändler hat ASKO ein Vollsortiment. „Wir beliefern unsere Kunden mit allen erdenklichen Lebensmitteln und Getränken“, sagt Marius Råstad, Corporate Logistics Manager bei ASKO. „Unser Sortiment reicht von Kaffee und Brot über Frischfleisch, Milch und Gemüse bis hin zu Eis und Tiefkühlpizza.“ Der Laderaum der Lieferfahrzeuge muss deswegen voll klimatisiert sein – ganz egal, ob es sich um einen konventionellen Diesel-Lkw, ein Hybridfahrzeug oder ein komplett batterieelektrisches Modell wie die beiden Scania 25P BEV handelt. Die klimatisierten Auflieger werden daher ständig mit Strom versorgt – der bei einem batterieelektrischen Lkw für den Antrieb dann nicht mehr zur Verfügung steht.

Die erforderliche Reichweite sicherzustellen, war jedoch nicht die einzige Herausforderung der Scania Ingenieure. „Als kompliziert erwies sich auch, den Elektromotor und das Klimaaggregat gleichzeitig über die Fahrzeugbatterie mit Strom zu versorgen“, berichtet John Lauvstad, Director Communication, Sustainability and Branding bei Scania Norwegen. Der Grund: Während der Motor mit 650 Volt Gleichstrom betrieben wird, benötigt die Kühleinheit 400 Volt Wechselstrom. Um die Fahrzeuge an diese Kundenanforderung anzupassen, setzten die Scania Experten deswegen einen speziellen Wechselrichter zur Umwandlung von Gleichspannung in Wechselspannung ein.

John Lauvstad

John Lauvstad blickt auf eine langjährige Partnerschaft zwischen Scania und ASKO zurück.

„Als kompliziert erwies sich auch, den Elektromotor und das Klimaaggregat gleichzeitig über die Fahrzeugbatterie mit Strom zu versorgen.“
John Lauvstad
Director Communication, Sustainability and Branding bei Scania Norwegen
75
Um 75 batterieelektrische Scania Lkw will ASKO seine Flotte bis 2023 erweitern.

Chance auf emissionsfreie Zustellung

Anders als die meisten anderen Länder, die einen großen Teil ihres Stroms noch aus fossilen Energiequellen gewinnen, verfügt Norwegen zu fast hundert Prozent über erneuerbaren Strom aus Wasserkraft. Der Grund dafür ist die besondere Topografie des skandinavischen Landes mit hohen Gebirgszügen im Nordwesten und weitläufigen Hochebenen nach Südosten hin, wo sich das abfließende Wasser in lang gezogenen Fjordseen sammelt. Mit diesem außergewöhnlich hohen Anteil an nachhaltig erzeugter Energie ist Norwegen ideales Testfeld für emissionsfreien Transport. Schließlich spielt neben entsprechenden Fahrzeugen auch die hohe Verfügbarkeit grünen Stroms eine wichtige Rolle im Kreislauf der klimafreundlichen Mobilität. ASKO macht sich dieses Potenzial zu Nutze und setzt auf batterieelektrische Fahrzeuge, um gemäß der Unternehmensstrategie noch nachhaltiger zu werden.

Das Scania Modell 25P BEV ist ein wichtiger Baustein dieser Strategie. Bis 2023 will ASKO 75 batterieelektrische Scania Lkw bestellen. Seit der Erstauslieferung im Herbst 2020 setzt der Großhändler die beiden ersten E-Fahrzeuge auf genau den gleichen Routen ein wie alle anderen Lkw, die mit konventionellem Dieselantrieb fahren. Dadurch sammelt das Unternehmen wertvolle Erfahrungen, die für die laufende Umstellung sehr nützlich sind. „Unsere Disponenten haben während der bisher rund 2.500 Betriebsstunden der beiden Fahrzeuge viele Erfahrungen gesammelt, was die Leistungsfähigkeit der Batterien angeht“, schildert Marius Råstad. „Sie wissen genau, mit welchem Ladezustand die Fahrzeuge eine Route bewältigen können und setzen sie entsprechend ein.“

Scania LKW an Ladestation

Der mittelschwere batterieelektrische Scania Lkw ist mit einer Kapazität von 165 kWh oder 300 kWh erhältlich.

Eine wichtige Rolle für den erfolgreichen Einsatz spielen auch die Fahrer. Mit der Zeit haben sie gelernt, den E-Fahrzeugen zu vertrauen und ihr gesamtes Potenzial hinsichtlich der Reichweite zu nutzen. „Anfangs sind unsere Fahrer mit einem größeren Sicherheitspuffer als heute ins Verteilzentrum zurückgekehrt“, erinnert sich Marius Råstad. „Inzwischen sind sie mutiger. Im Zusammenspiel mit der klugen Planung der Disponenten reicht eine einzige Batterieladung von 165 Kilowattstunden schon jetzt in den meisten Fällen aus, um Motor und Kühlaggregat für eine gesamte Schicht mit Strom zu versorgen.“ Voll nachgeladen werden die Fahrzeuge in aller Regel dann über Nacht. Dank einer 50 Kilowatt-Schnellladesäule auf dem Betriebshof können sie aber auch zwischen den Touren oder in der Mittagspause nachgeladen werden.

Längere Einsätze

Im nächsten Schritt will ASKO neben der Anzahl auch die Einsatzzeiten der klimafreundlich angetriebenen Nutzfahrzeuge deutlich steigern. Bisher sind sie bereits an sechs Tagen in der Woche für jeweils 16 Stunden im Einsatz. „Wir setzen die batterieelektrischen Lkw aktuell noch in einem Zwei-Schicht-System ein“, sagt Råstad. „Aber wir möchten sie zukünftig rund um die Uhr nutzen, wenn es zu unserem Terminplan und dem Transportvolumen passt.“ Kein Wunder, schließlich kommen die Stärken batterieelektrischer Lkw im städtischen Verteilerverkehr voll zum Tragen. Ihre leisen und emissionsfrei angetriebenen Motoren eignen sich optimal für den Einsatz in belebten Innenstädten und Wohngebieten, die zudem immer öfter zu Umweltzonen erklärt werden. Um auch mit einer wachsenden Flotte batterieelektrischer Lkw von diesen Vorteilen zu profitieren, wird ASKO gemeinsam mit externen Partnern die Ladeinfrastruktur an seinen Verteilzentren weiter ausbauen.

Scania R 450 Hybrid mit Stromabnehmer im Einsatz

Marius Råstad, Corporate Logistics Manager bei ASKO, ist vom Potenzial batterieelektrischer Lkw überzeugt.

„Im Zusammenspiel mit der klugen Planung der Disponenten reicht eine einzige Batterieladung von 165 Kilowattstunden schon jetzt in den meisten Fällen aus, um Motor und Kühlaggregat für eine gesamte Schicht mit Strom zu versorgen.“
Marius Råstad
Corporate Logistics Manager bei ASKO

ASKO


Nachhaltigkeit ist für den norwegischen Lebensmittel-Großhändler ASKO zentraler Bestandteil der Unternehmensstrategie. Das inhabergeführte Unternehmen mit rund 3.300 Mitarbeitern setzt bei seiner Lkw-Flotte seit langem auf klimafreundliche Antriebe und produziert mit eigenen Wind- und Solaranlagen nachhaltigen Strom, der auch die steigende Zahl batterieelektrischer Lkw des Unternehmens antreibt. Für sein nachhaltiges Engagement wurde ASKO mit dem Business Climate Award 2020 der Umweltstiftung ZERO, der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens und des Verbandes norwegischer Unternehmen NHO ausgezeichnet. Damit nicht genug: Um zukünftig noch nachhaltiger zu werden, will der Lebensmittel-Großhändler bis 2026 nur noch Energie aus nachhaltigen Quellen einsetzen und seinen Energieverbrauch gleichzeitig um 20 Prozent reduzieren.

Ambitionierte Nachhaltigkeitsziele

Die 75 neuen batterieelektrischen Fahrzeuge, die ASKO bis 2023 einsetzt, sind erst der Anfang. Ab 2026 will der Großhändler seine gesamte Flotte mit etwa 700 Fahrzeugen fossilfrei betreiben und zu diesem Zweck – mit wenigen Ausnahmen – vor allem batterieelektrische Antriebe einsetzen. „Scania hat uns in den letzten 20 Jahren immer nachhaltigere Fahrzeuge mit klimafreundlichen Antrieben geliefert, von Biodiesel- und Biogas-Motoren bis hin zu Hybridantrieben“, sagt Råstad. „Die batterieelektrischen Antriebe der neuesten Generation eröffnen uns jetzt aber noch einmal ganz neue Möglichkeiten für einen emissionsfreien Transport. Gleichzeitig werden die nächste Generation von Batterien, verbesserte Reichweiten und mehr verfügbare Ladeinfrastruktur es uns ermöglichen, die batterieelektrischen Lkw auf noch längeren Routen einzusetzen." Und auch was ihre Wirtschaftlichkeit angeht, werden E-Lkw immer attraktiver: dank zunehmender Batterieleistung und Reichweite bei gleichzeitig sinkenden Preisen.