Die Ampeln für autonome Fahrzeuge stehen auf grün. Mit dem Gesetz zum autonomen Fahren vom 28. Juli 2021 hat die Bundesrepublik als weltweit erstes Land ein solches Gesetz in Kraft gesetzt. Dieses regelt und erlaubt grundsätzlich die Nutzung von autonomen Fahrzeugen in festgelegten Betriebsbereichen, etwa im Verkehr zwischen Logistikterminals. Damit will der Gesetzgeber Praxiserprobungen dieser Technologie nicht mehr nur auf abgesicherten Geländen ermöglichen, sondern, unter der Bedingung menschlicher Überwachung, auch auf öffentlichen Straßen.
Dass Technik, und computergesteuerte Technik in besonderem Maße, den Betrieb von Fahrzeugen nicht nur komfortabler, sondern auch sicherer und wirtschaftlicher macht, haben Fahrerassistenzsysteme, wie Notbremsassistent, GPS-gesteuerter Tempomat oder der Abbiegeassistent für Lkw in den letzten Jahren bewiesen. Dennoch sind auch heute noch 94 Prozent aller Verkehrsunfälle, so schätzen Experten, auf menschliches Versagen zurückzuführen. Weniger Schäden, weniger Verletzte und weniger Tote im Straßenverkehr wären schon allein Gründe genug, die Entwicklung autonomer Fahrzeuge zu forcieren.
Maximaler Nutzen im Güterverkehr
Im Gütertransport wiegen jedoch ökonomische und ökologische Argumente fast ebenso schwer. Selbstfahrende Lkw können längere Strecken ohne Pause fahren und reduzieren den hohen Anteil an Personalkosten, der nach den Kraftstoffkosten den größten Teil der Gesamtbetriebskosten eines Lkw ausmacht. Zudem benötigen sie keine lange Ruhezeiten, sorgen für ein verbessertes Sicherheitsgefühl und steigern somit die Effizienz. Gleichzeitig bedeuten weniger Schäden auch weniger Ausfälle und niedrigere Reparaturkosten. Zusätzlich führt automatisiertes Fahren zu einem niedrigeren Verbrauch und entlastet so die Umwelt. Forschende der Universität in Michigan beziffern dieses Potenzial beispielsweise in einer Studie auf bis zu neun Prozent bei Level4-Fahrzeugen. Und nicht zuletzt stellen autonome Lkw perspektivisch eine Lösung für gleich zwei der größten Herausforderungen des Transportgewerbes dar: den massiv zunehmenden Fahrermangel. Dem wachsenden Bedarf nach Transportleistung steht schon jetzt eine zunehmende Knappheit an Berufskraftfahrern gegenüber. Alleine in Deutschland gehen laut Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) jedes Jahr etwa 30.000 Lkw-Fahrer in den Ruhestand, während nur 17.000 Neueinsteiger nachrücken.
Gründe genug für den internationalen Nutzfahrzeugkonzern TRATON mit seinen Marken Scania, MAN, Volkswagen Caminhões e Ônibus (VWCO) und Navistar, die Entwicklung autonomer Fahrzeuge ganz oben auf die Agenda zu setzen. TRATON vereinbarte eine gemeinsame, globale Strategie aller Konzernmarken bei der Entwicklung von Lösungen für das autonome Fahren. „Aktuell sind wir dabei, die Technik autonomfahrender Lkw zu testen. Mit der Fokussierung auf die erfolgversprechendsten Ergebnisse und Lösungen wollen wir die Entwicklung soweit beschleunigen, dass wir voraussichtlich bis zum Jahr 2030 autonom fahrende Lkw als Serienlösungen realisieren können“, sagt Catharina Modahl Nilsson, Chief Technical Officer bei TRATON.
Nur noch ein paar Jahre bis zur Serienreife ab 2030? Klingt ambitioniert – ist es auch. Aber Projekte autonom fahrender Lkw sind für die Marken der TRATON GROUP nicht neu. Seit mehreren Jahren werden Testfahrzeuge bereits eingesetzt und ihre Entwicklung vorangetrieben, damit diese Fahrzeuge für Kunden bald zur Verfügung stehen.
Praxiserprobung in aller Welt
So startete Scania bereits 2018 mit der Erprobung selbstfahrender Lkw in einem Salzbergwerk des australischen Bergbaukonzerns Rio Tinto. Die Entscheidung, autonome Fahrzeuge ausgerechnet in einer Mine abseits jeglichen Straßenverkehrs zu testen, fiel aus gutem Grund, wie Björn Winblad, Head of Scania Mining erklärt: „Bergbaustätten sind wegen ihrer hohen Fahrzeugauslastung ideal für den Test neuer autonomer Technologien. Zugleich sind die Sicherheits- und Produktivitätsvorteile der Automatisierung für die Minenbetreiber von großem Nutzen.“ Dazu kommt, dass die Aufgaben, die ein autonomer Lkw hier zu bewältigen hat, weniger komplex sind als etwa im innerstädtischen Verkehr.
Mit einem weiteren Projekt ging Scania sogar noch einen Schritt weiter. Denn während in der australischen Mine ein Sicherheitsfahrer an Bord des Fahrzeugs jede Aktion der autonomen Steuerung überwacht und notfalls eingreifen kann, verzichtet das 2019 vorgestellte Muldenkipper-Konzeptfahrzeug namens Scania AXL nicht nur auf den Fahrer, sondern konsequenterweise ganz auf ein Fahrerhaus. Der Einsatz des autonom fahrenden Kippers auf abgesperrtem Gelände soll zusätzliche Erkenntnisse für die künftige Serienreife sogenannter Level-5-Fahrzeuge bringen, die höchste Aufbaustufe autonomer Fahrzeuge.
Hamburg Truck Pilot erfolgreich abgeschlossen
Nicht nur im Bergbau, auch in Container Terminals finden Entwicklungsingenieure geeignete Einsatzprofile für die Erprobung autonomer Lkw. Lange tägliche Einsatzzeiten und häufig wiederkehrende Fahr- und Rangiermanöver ermöglichen es auch hier, in relativ kurzer Zeit eine große Menge an Daten zu sammeln – Voraussetzung für die Entwicklung sicherer und zuverlässiger Selbstfahrsysteme. Kein Zufall also, dass die TRATON-Tochter MAN gemeinsam mit der Hamburger Hafen und Logistik AG im Jahr 2018 das Projekt Hamburg Truck Pilot startete. Dabei erproben die Projektpartner den Einsatz autonom fahrender Lkw auf dem Container Terminal Altenwerder und deren Integration in die hochautomatisierten Umschlagprozesse. Nach monatelangen Vorbereitungen erfolgte im Mai 2021 der Praxistest. Völlig autonom bewegte sich der Lkw, unter ständiger Aufsicht eines Sicherheitsfahrers, innerhalb des Hafengeländes – vom Navigieren zum zugewiesenen Ladeblock bis zum Rangieren in die finale Ladeposition.
Das Nachfolgeprojekt geht noch einen Schritt weiter: Mit dem Automatisierungsprojekt ANITA (Autonome Innovation im Terminablauf) am Container-Umschlagterminal DUSS bei Ulm und dem benachbartes Containerdepot der DB Intermodal Services GmbH entwickeln MAN, die Deutsche Bahn und die Hochschule Fresenius gemeinsam Lösungswege, mit denen sich künftig automatisierte Transporte im sogenannten Hub-to-Hub-Verkehr realisieren lassen.
Hub-to-Hub-Verkehre im Fokus der Automatisierung und der aktuellen Testphase
Und genau hier – bei regelmäßigen Verkehren zwischen zwei Logistikzentren oder Hubs sieht TRATON-CTO Catharina Modahl Nilsson das größte Potential für eine kurzfristige Realisierung autonomer Lösungen- voraussichtlich bis zum Jahr 2030 als Serienproduktion. „Hub-to-Hub-Verkehre verlaufen größtenteils über Autobahnen. Im Vergleich zum innerstädtischen Verkehr sind Lkw hier nur einer relativ geringen situativen Komplexität ausgesetzt. Gleichzeitig fallen angesichts der intensiven Nutzung und der Arbeitsbedingungen, der Fahrermangel wie auch die Personalkosten des Fahrers besonders ins Gewicht. Hub-to-Hub-Transporte könnten daher die erste Transportart sein, bei der selbstfahrende Lkw auf öffentlichen Straßen Realität werden.“
Da überrascht es nicht, dass TRATON als erster Lkw-Hersteller in Europa den autonomen Transport zwischen zwei Hubs auf öffentlichen Straßen erprobt. Auf einer Strecke von rund 300 Kilometer pendeln zwei autonom fahrende Versuchs-Lkw im regulären Lieferverkehr über die schwedische Autobahn E4 zwischen den Scania-Werken Södertälje und Jönköping. Immer an Bord: ein Sicherheitsfahrer und ein Versuchsingenieur des Projektpartners TuSimple, einem amerikanischen Start-Up-Unternehmen, das sich auf Steuerungen für selbstfahrende Lkw spezialisiert hat. Das Hub-to-Hub-Projekt in Schweden ist dabei nicht das erste, bei dem TRATON und TuSimple zusammenarbeiten. In den USA pflegt die TRATON-Tochter Navistar bereits seit Längerem eine Entwicklungs-Partnerschaft mit TuSimple, in deren Rahmen 50 Navistar-Versuchs-Lkw schon mehrere Millionen Kilometer im Selbstfahrmodus auf amerikanischen Interstates absolviert haben.
Jetzt wird es nicht mehr lange dauern, bis auch auf deutschen Autobahnen die ersten selbstfahrenden Lkw den Testbetrieb aufnehmen- bis 2030 ist es schließlich nicht mehr weit.