Seit Juli 2020 führt Matthias Gründler die TRATON GROUP. Sein Start als CEO fällt in eine Zeit des Wandels. Unter dem TRATON-Dach arbeiten die Marken Scania, MAN, Volkswagen Caminhões e Ônibus und bald auch Navistar am nachhaltigen, elektrischen und automatisierten Transport. Dadurch ergeben sich technische Möglichkeiten, die vor wenigen Jahren noch undenkbar waren. Im Interview gibt Gründler einen Ausblick.

Text: Laurin Paschek

Die TRATON GROUP hat sich zum Ziel gesetzt, ein Global Champion der Nutzfahrzeugbranche zu werden. Welche Bedeutung hat dafür die Übernahme des US-Herstellers Navistar?

Matthias Gründler: Unsere Global-Champion-Strategie haben wir vor rund sechs Jahren entwickelt. Ihr lag die Analyse zugrunde: Wir sind stark in Europa und in Südamerika, in den wichtigen Märkten Nordamerikas und Asiens aber kaum vertreten. Deswegen wollten wir uns global anders aufstellen – vor allem mit Blick auf die USA, wo etwa 35 Prozent der Branchengewinne weltweit erreicht werden. Ziel war es, unser Wachstum internationaler auszurichten und die Abhängigkeit vom europäischen und südamerikanischen Markt zu verringern. Mit der Integration von Navistar Mitte 2021 werden wir dieses Ziel erreichen. Die Zusammenarbeit mit den neuen Kolleginnen und Kollegen aus den USA macht uns schon jetzt richtig Freude.

„Im Zentrum unserer neuen Strategie steht die große Zukunftsfrage, wie wir der Elektrifizierung und dem autonomen Fahren den Weg bereiten.“
Matthias Gründler
Vorstandsvorsitzender TRATON SE

Aber Sie müssen nun eine neue Strategie entwickeln.

MG: So ist es, da sind wir derzeit dran. Wichtige Themen wie der rein elektrische Transport mit Batterien oder die Automatisierung von Nutzfahrzeugen waren vor einigen Jahren noch eine abstrakte Zukunftsvision. Jetzt rücken sie in greifbare Nähe. Mit der Integration von Navistar machen wir einen Haken an die Global-Champion-Strategie und schlagen ein neues Kapitel unserer Firmengeschichte auf. Darin widmen wir uns der Asienstrategie – aber im Zentrum der neuen Strategie wird die große Zukunftsfrage stehen, wie wir der Elektrifizierung und dem autonomen Fahren den Weg bereiten. Und wie sich das auf die Logistikbranche und damit auf unsere Kunden auswirkt.

Wie wollen Sie die Integration der Marken Scania, MAN, Volkswagen Caminhões e Ônibus und Navistar unter dem Dach der TRATON GROUP weiter vorantreiben und welcher Mehrwert entsteht dabei?

MG: Mit Navistar hatten wir ja bereits ein Einkaufs-Joint Venture und werden den Einkauf nun voll integrieren. Hier sehe ich noch viel Potenzial, beispielsweise durch den weiteren Ausbau des Lead Buying, also der zentral gesteuerten Zusammenarbeit im Einkauf. Mit Blick auf alle Marken einschließlich Scania, MAN und Volkswagen Caminhões e Ônibus sehen wir zugleich, dass das Heben von Skaleneffekten – beispielsweise durch gemeinsame Komponenten – häufig wegen der hohen Komplexität auch zu steigenden Kosten führt. Dadurch bleibt unterm Strich oft gar nicht so viel übrig. Unsere neue Strategie wird deswegen sein: Statt zu versuchen, so viele Komponenten wie möglich zu integrieren, konzentrieren wir uns auf ausgewählte Systeme und machen deren Integration richtig gut.

Zum Beispiel bei der Elektrifizierung?

MG: Genau. Bei diesem Thema können wir ganz neu ausholen, und die Komplexität ist so gesehen relativ niedrig. Deswegen können wir hier Skaleneffekte durch den markenübergreifenden Einsatz von einheitlichen Systemen voll ausschöpfen. Zum Beispiel mit dem Common Central Drive als zentraler Antriebseinheit, der elektrischen Antriebsachse oder mit gemeinsamen Gehäusemodulen für Batteriesysteme. Wir investieren bis 2025 rund 1,6 Milliarden Euro in die Elektromobilität und entwickeln einen umfassenden Baukasten für E-Fahrzeuge, der in der gesamten Gruppe zum Einsatz kommt. Die Marken können dann für sich entscheiden, wie sie diesen Baukasten am besten nutzen.

„Die größte Aufgabe liegt darin, bis 2025 eine leistungsfähige, grenzüberschreitende Schnellladeinfrastruktur für den Fernverkehr zu errichten.“

Worin sehen Sie die größte Herausforderung, um der E-Mobilität bei Nutzfahrzeugen zum Durchbruch zu verhelfen?

MG: Die größte Aufgabe liegt darin, bis 2025 eine leistungsfähige, grenzüberschreitende Schnellladeinfrastruktur zu errichten, damit der Schritt hin zur Elektrifizierung des Fernverkehrs gelingen kann. Dazu bedarf es einer gewaltigen, gemeinsamen Anstrengung von Industrie und Politik, und damit müssen wir hier und jetzt anfangen. Außerdem müssen wir möglichst schnell die Lebenszykluskosten eines E-Lkw unter die eines Diesel-Lkw drücken, denn sonst werden die meisten unserer Kunden weiterhin fossile Antriebe bevorzugen. Damit das möglichst rasch geschieht, braucht es nicht nur hochwertige E-Fahrzeuge, wie wir sie unter dem Dach der TRATON GROUP entwickeln, sondern auch entsprechende staatliche Förderprogramme. Und nicht zuletzt sind aus unserer Sicht flankierende Maßnahmen erforderlich. Wir brauchen eine CO2-bezogene Lkw-Maut, einen höheren CO2-Preis und eine Entlastung unserer Kunden bei den Kosten für Fahrstrom. Auf diese Weise verschaffen wir Transportunternehmen einen Kostenvorteil, die ein elektrifiziertes Fahrzeug betreiben. Das müssen wir gemeinsam tun, auch mit den Kolleginnen und Kollegen in den Verbänden VDA und ACEA.

Im Gespräch mit Matthias Gründler, der seit 2020 Vorsitzender des Vorstands der TRATON SE ist.

„Wir brauchen eine CO2-bezogene Lkw-Maut, einen höheren CO2-Preis und eine Entlastung unserer Kunden bei den Kosten für Fahrstrom.“

E-Lkw können ja nicht nur mit einer Batterie, sondern auch mit einer Brennstoffzelle betrieben werden. Wie stehen Sie zum Thema Wasserstoff?

MG: Wir haben dazu inzwischen eine eindeutige Meinung. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Batterie in Sachen Technik, Gewicht und Preis enorm weiterentwickelt. Wir sind davon überzeugt: Die Zukunft gehört dem E-Lkw, der seine Antriebsenergie direkt aus einer Batterie bezieht. Rein elektrischer Schwerlast-Fernverkehr ist damit möglich. Voraussetzung ist die bereits angesprochene, leistungsfähige Schnellladeinfrastruktur, so dass die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten von 45 Minuten nach 4,5 Stunden Fahrzeit direkt zum Nachladen genutzt werden können.

Warum sind Sie sich da so sicher?

MG: Von den Trucks unserer Marken erreichen uns aufschlussreiche Daten, wie die Fahrzeuge im realen Betrieb genutzt werden. Wir haben diese Daten analysiert. Das Ergebnis: Die Möglichkeiten der Batterietechnik decken bereits jetzt den Löwenanteil der Nutzungsszenarien im Schwerlast-Fernverkehr ab. Dabei ist die zu erwartende technische Weiterentwicklung – etwa durch Festkörperbatterien mit deutlich höherer Energiedichte – noch gar nicht eingerechnet.

An die Energiedichte von Wasserstoff werden Batterien wohl jedoch nie herankommen.

MG: Das ist richtig. Aber Lkw und Busse, die mit Wasserstoff und Brennstoffzelle betrieben werden, haben einen gravierenden Nachteil gegenüber batterieelektrischen Nutzfahrzeugen. Durch die Wandlungsprozesse vom Strom zum Wasserstoff und zurück kommen nur 25 Prozent der Primärenergie am Rad an, 75 Prozent gehen verloren. Bei batterieelektrischen Lkw ist das Verhältnis umgekehrt: Hier lassen sich drei Viertel des Stroms, der zum Beispiel von einem Windrad regenerativ erzeugt wird, direkt für den Antrieb eines Fahrzeugs nutzen. Da sollte man schon genau überlegen, für welchen Technologiepfad man die erforderliche Infrastruktur zuerst aufbaut. Die mangelnde Effizienz des Wasserstoffs wird erst dann in den Hintergrund treten, wenn die erneuerbaren Energien entsprechend ausgebaut sind und grüner Wasserstoff in großen Mengen vorhanden ist. Aber auch dann ist der rein batterieelektrische Antrieb in vielen Fälle die ökologisch und ökonomisch bessere Alternative. Für den Wasserstoffantrieb wird es vereinzelt Anwendungsfälle geben – denken wir beispielsweise an Langstreckenfahrten in abgelegenen Gebieten, in denen die notwendige Ladeinfrastruktur schlichtweg nicht vorhanden ist.

„Bei batterieelektrischen Lkw lassen sich drei Viertel des Stroms, der von einem Windrad regenerativ erzeugt wird, direkt für den Antrieb eines Fahrzeugs nutzen.“

Welche Rolle spielt noch der Dieselantrieb?

MG: Wir brauchen für die Übergangszeit – also bis es ein flächendeckendes Netz an Schnellladestationen gibt – höchst effiziente Dieselantriebe, um so wenig CO2 wie nur möglich zu emittieren. Deswegen haben wir den CBE entwickelt: unseren gruppenweiten 13-Liter-Motor, den Scania bald erstmals in den Markt bringt. Die anderen Marken werden folgen. Das Aggregat ist sehr sparsam im Kraftstoffverbrauch. Es wird in der Übergangszeit ein Nebeneinander von Diesel- und Elektroantrieben geben. Deswegen konzipieren wir unsere Module auch so, dass sie in beide Antriebskonzepte hineinpassen – zumindest überall dort, wo es sinnvoll und möglich ist.

Wie wichtig sind aus Ihrer Sicht Partnerschaften, etwa jene mit Hino oder – wie beim autonomen Fahren – mit dem KI-Experten TuSimple?

MG: Mit Hino haben wir ein sehr erfolgreiches Einkaufs-Joint Venture sowie einen sehr guten Erfahrungsaustausch zum Thema Wasserstoff und Brennstoffzelle. Das ist gut so, denn wir wollen diese Technologie gemeinsam mit Hino weiter im Blick behalten. Die Partnerschaft mit TuSimple ist für mich besonders von strategischer Bedeutung. Scania hat gemeinsam mit TuSimple bereits zwei autonome Testfahrzeuge auf der Straße, die im realen Hub-to-Hub-Betrieb fahren. Hier lernen wir gerade sehr viel und werden mit MAN und Navistar weitere Prototypenfahrzeuge entwickeln. Denn auf künstliche Intelligenz gestützte, autonome und elektrisch angetriebene Nutzfahrzeuge können zum einen eine Antwort auf den Fahrermangel sein und so dabei helfen, ein großes Problem unserer Kunden zu lösen. Zum anderen eröffnen sie der TRATON GROUP aber auch vollkommen neue Chancen, ihre Dienstleistungen und Services für Transportunternehmen und Fuhrparkbetreiber zu erweitern. In Zukunft werden wir nicht nur Nutzfahrzeuge herstellen, sondern den gesamten Transportprozess mit unserem Know-how unterstützen.

Matthias Gründler

Matthias Gründler ist seit 16. Juli 2020 Vorsitzender des Vorstands der TRATON SE. Gründler wurde im Jahr 1965 in Stuttgart geboren, ist gelernter Industriekaufmann und studierte Betriebswirtschaft. Seine berufliche Laufbahn startete er 1986 bei der Daimler AG. 2008 wurde er Chief Financial Officer (CFO) von Mitsubishi Fuso in Japan und 2011 übernahm er die Leitung für Beschaffung und Geschäftsentwicklung Antriebsstrang bei Daimler Trucks & Buses. Von 2012 bis 2015 war er CFO des Unternehmens, bevor er im September 2015 zur TRATON-Vorgängergesellschaft Volkswagen Truck & Bus wechselte und dort die Position des CFO übernahm.