Gemeinsam mit der Hamburger Hafen und Logistik AG forscht MAN an hochautomatisierten und autonomen Lkw. Das Projekt „Hamburg TruckPilot“ schafft die Voraussetzungen dafür, den Güterumschlag in großen Seehäfen deutlich wirtschaftlicher zu machen.

Text: Johannes Winterhagen

Im Süden der Stadt Hamburg schlägt das Herz der Hafenmetropole. Von den 135 Millionen Tonnen an Gütern, die hier 2018 umgeschlagen wurden, entfallen zwei Drittel auf Container. Insgesamt neun Millionen der Standardbehälter werden jährlich von riesigen Portalkränen an Bord gebracht und entladen. Dafür, dass die Ladung rechtzeitig im Hafen ist, sorgt bei 56 Prozent aller Container ein Lastkraftwagen. Insgesamt 4,3 Millionen Lkw-Zufahrten im Jahr zählt das gesamte Hafengebiet, das eine einzige große Logistikmaschine darstellt – und dementsprechend auf reibungslose Abläufe angewiesen ist. In diesem Umfeld will MAN gemeinsam mit der Hamburger Hafen und Logistik AG einen einzigartigen Versuch starten. Einzigartig deshalb, weil schon auf der Anfahrt zum Containerterminal das vollautomatisierte Fahren im öffentlichen Verkehr untersucht werden soll. Das bedeutet, dass zwar weiterhin ein Fahrer an Bord ist, dass der sich aber zeitweise auch anderen Tätigkeiten widmen kann.

TRUCK­PILOT

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MIT FAHRER
Nachdem die Lkw die Anfahrt vollautomatisch bewältigt haben, werden sie im Containerterminal Altenwerder autonom be- und entladen.

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FAHRERLOS
Gelingt es, die Lkw-Verkehre und die Containerlogistik im Hafen zu synchronisieren, dann sinken die Umschlagzeiten, die Wirtschaftlichkeit aber steigt.

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IM HAFEN
Containerschiffe werden bereits heute computergesteuert be- und entladen, 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche.

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DER OPERATOR
In einem voll autonomen Szenario überwacht ein Operator den Betrieb. Vorerst wird aber ein Sicherheitsfahrer an Bord sein.

Experten sprechen von einem Automatisierungsgrad der Stufe drei. Erreicht der Lkw das Containerterminal Altenwerder, kann der Fahrer sogar aussteigen. Das Fahrzeug bewegt sich während des Entladens und anschließenden Beladens vollständig autonom. „Erstmals bringen wir beide Welten in einem einzigen Fahrzeug unter realen Bedingungen zusammen“, erläutert Walter Schwertberger, der bei MAN die Forschung und Entwicklung zum automatisierten Fahren koordiniert. „Es ist daher eines der ambitioniertesten und wichtigsten Projekte, die wir je durchgeführt haben.“

Zwei unterschiedliche Betriebsarten

Die wesentliche technische Herausforderung besteht für die MAN-Ingenieure darin, dass sich die Umgebungsbedingungen bei den beiden Betriebsarten signifikant unterscheiden. Bei einem Containerterminal handelt es sich um eine strukturierte Umgebung, in der normalerweise keine überraschenden Ereignisse auftreten. Und wenn doch, dann hält das Fahrzeug einfach an – und ist sofort in einem sicheren Zustand.

LKW Quer

Während des Entladens und des anschließenden Beladens bewegt sich das Fahrzeug vollständig autonom.

Ganz anders auf der Autobahn, wo Gegenstände auf der Fahrbahn oder einscherende Fahrzeuge eventuell komplexere Fahrmanöver erfordern. „Das hat Einfluss auf die verwendete Sensorik, die Eigenlokalisierung und die Algorithmen, mit denen wir das Fahrzeug steuern“, erläutert Schwertberger.

Derzeit gilt die Aufmerksamkeit von Sebastian Völl, dem Projektleiter bei MAN, daher der Konfiguration von zwei Sattelzugmaschinen, die im kommenden Jahr unter realen Bedingungen in der Hafenlogistik getestet werden sollen. Sowohl bei der Sensorik, zu der auch Laserscanner gehören, als auch bei den Computerprogrammen, mit denen die Umgebungsdaten ausgewertet werden, können die Entwickler neben eigenen Forschungsergebnissen auf das Know-how des Volkswagen Konzerns zurückgreifen. „Das gibt uns einen gewaltigen Vorsprung“, so Völl. „Allerdings müssen wir Hard- und Software an die Anforderungen schwerer Nutzfahrzeuge anpassen.“ Erst recht gilt das für die Algorithmen, mit denen Lenk- und Bremsverhalten berechnet werden. Dabei profitiert MAN vor allem von eigenen Projekten, aber auch dem Austausch mit den Experten bei Scania. „Durch die Synergien innerhalb der TRATON GROUP können wir schneller vorzeigbare Ergebnisse erzielen“, sagt Völl.

Ende 2020 startet der Testbetrieb

Dennoch: Es ist Pionierarbeit, keine Serienentwicklung. Ende 2020 soll der Testbetrieb, der mit einem speziell ausgebildeten Sicherheitsfahrer durchgeführt wird, so funktionieren, dass die Abläufe im Containerterminal nicht gestört werden. Im Oktober 2021 gehört „Hamburg TruckPilot“ dann zu den Schaufensterprojekten des Weltkongresses für intelligente Transportsysteme (ITS), für den mehrere Tausend Verkehrs- und Logistikexperten aus aller Welt in die Hansemetropole reisen werden.

Langfristig bietet das autonome Fahren für alle Häfen der Welt erhebliches Potenzial. Denn Containerschiffe werden bereits heute computergesteuert be- und entladen, 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche. Ganz anders die Anlieferung per Lkw: Sie konzentriert sich auf die Werktage und erfolgt meist tagsüber, um die gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten der Fahrer einzuhalten. So sind die Lkw-Parkplätze im Hamburger Hafen nachts nach offizieller Statistik zu 99 Prozent belegt. Gelingt es, die Lkw-Verkehre und die Containerlogistik im Hafen zu synchronisieren, dann sinken die Umschlagzeiten, die Wirtschaftlichkeit aber steigt.

Container Stapel
MAN LKW der auf das Werksgelände von Scania fährt

Das Hamburger Hafengebiet zählt 4,3 Millionen Lkw-Zufahrten pro Jahr.