Priscila, du bist seit mehr als 20 Jahren im Bereich Nachhaltigkeit und ESG tätig, davon die vergangenen drei Jahre bei VWTB. Was reizt dich bis heute an diesem Themengebiet?
Das Wichtigste in diesem Beruf ist, dass man seine Werte mit dem, was man tut, in Einklang bringt. Ich bin überzeugt davon, dass Wissenschaft, Menschen und Kultur die Welt positiv verändern können. Und auch die Wirtschaft entwickelt viele innovative Lösungen für eine bessere und nachhaltige Welt. Es bewegt mich sehr, wenn ich das Ergebnis guter Initiativen sehe: Menschen, die den Wandel vorantreiben, und Kolleginnen und Kollegen, die intensiv zusammenarbeiten, um das gemeinsame Ziel zu erreichen.
Was sind die größten Herausforderungen, wenn es darum geht, Nachhaltigkeit auf dem südamerikanischen Markt zu fördern?
Der südamerikanische Markt macht in Sachen Nachhaltigkeit deutliche Fortschritte. Allerdings brauchen wir auch mehr Anreize, vor allem finanzieller Art, um die Einführung neuer Technologien zu beschleunigen. Zudem benötigen wir mehr öffentliche Maßnahmen zur Förderung der Kreislaufwirtschaft sowie zur Eindämmung des Kohlenstoffausstoßes und zur Anpassung an den Klimawandel.
Es gibt viele gute Möglichkeiten hier in Brasilien. Es ist ein riesiges Land mit vielen natürlichen Ressourcen, die für die Bioökonomie und naturbasierte Lösungen in einem Gleichgewicht von Umweltschutz und Wertschöpfung sehr wichtig sind.
Was genau ist deine Rolle als Leiterin der Abteilung Nachhaltigkeit bei VWTB?
Meine Aufgabe besteht darin, nachhaltigkeitsorientierte Maßnahmen im gesamten Unternehmen zu fördern. Mein Ziel ist es, Möglichkeiten für VWTB zu schaffen, um nachhaltige Transportlösungen für alle anzubieten. Ich arbeite zum Beispiel eng mit Ingenieurinnen und Ingenieuren bei Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft zusammen und unterstütze Händler, die immer häufiger nach nachhaltigeren Optionen fragen.
Außerdem gehöre ich einem Nachhaltigkeitsausschuss an. Er setzt sich aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem gesamten Unternehmen zusammen: aus den Bereichen Personal und Kultur, Strategie oder Produktion. Gemeinsam erarbeiten wir Vorschläge und Maßnahmen, um die Nachhaltigkeit bei VWTB voranzubringen. Und ich bin Mitglied der Sustainability Leadership Group von TRATON, die von Andreas Follér, dem Chief Sustainability Officer von TRATON, geleitet wird. Wir treffen uns wöchentlich und konzentrieren uns darauf, in drei zentralen Bereichen voranzukommen: Dekarbonisierung, Kreislaufwirtschaft und Menschenrechte. Das sind drei unternehmerische Eckpfeiler, die uns in die Lage versetzen werden, einen nachhaltigen Transport möglich zu machen.
Kannst du uns einen Einblick in das „Zukunftsprogramm“ von VWTB und andere Initiativen geben, die international ausgerichtet sind?
Unser Zukunftsprogramm ist eine umfassende Initiative. Sie dient als Überbau für all unsere ESG-Aktivitäten. Es basiert auf Nachhaltigkeitsthemen, die für die Gesellschaft, die Investoren und unser Geschäft relevant sind und die in unsere Strategie integriert werden.
Aufbauend auf dieser Grundlage legt unsere Strategie den Schwerpunkt auf die zehn wichtigsten Programme in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance. Die Programme beziehen sich auf Vielfalt und Inklusion, ethische Praktiken, die Stärkung der Menschenrechte sowie auf Schlüsselbereiche wie Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft. Letzteres wird durch unsere Arbeit an Entwicklungen im Bereich der erneuerbaren Ressourcen veranschaulicht, wie zum Beispiel die Entwicklung eines AdBlue-Tanks mit einer Mischung aus Polyethylen, die aus Zuckerrohr hergestellt wird.
Ein weiteres Angebot für unsere Kunden ist das „Volks Greenline“-Wiederaufbereitungsprogramm, das sich auf das Angebot eines Portfolios von wiederaufbereiteten Teilen aus VWTB-Fahrzeugen konzentriert.
Der Bonus der Führungskräfte misst sich daran, ob die grüne Strategie auch umgesetzt wird. Dazu gehört im Besonderen ein erhöhter Frauenanteil in Führungspositionen, die Reduktion der Scope-1- und Scope-2-Treibhausgasemissionen sowie die Förderung der BEV-Entwicklung. Unser „Excellence“-Programm stellt sicher, dass wir die Ziele über verschiedene Abteilungen hinweg im Blick behalten und zudem das Leben der Menschen innerhalb und außerhalb des Unternehmens durch gezielte soziale Projekte positiv beeinflussen.
Was die Unternehmensführung betrifft, so unterstützt unser CEO aktiv den Nachhaltigkeitsrat, um ESG-Fortschritte im gesamten Unternehmen zu erzielen.
Stellt es euch vor Probleme, dass ihr bestimmte Elemente der Nachhaltigkeitsstrategie beim internationalen Rollout auf verschiedene Märkte jeweils mit unterschiedlichen nationalen Vorschriften abgleichen müsst?
Der Umgang mit kulturellen Unterschieden ist und bleibt eine Herausforderung. Aber in der TRATON GROUP ist er zugleich auch richtig interessant. Das Wichtigste ist meiner Meinung nach, die lokale Kultur zu respektieren und sie mit den eigenen Werten in Einklang zu bringen. Selbst wenn sich die Kulturen unterscheiden, versuchen wir, eine Übereinstimmung zu finden. Das gelingt uns, indem wir uns an die konzernweiten Grundwerte halten. Wenn etwas mit diesen Werten in Konflikt steht oder darüber hinausgeht, müssen wir aber auch entschieden „Nein“ sagen.
Selbstverständlich ist dieser Anpassungsprozess nicht einfach. Aber er ist eine gemeinsame und lohnenswerte Anstrengung von TRATON und den einzelnen Einheiten. Die Zugehörigkeit zu einem internationalen Unternehmen bedeutet, dass wir von den gemeinsamen Erfahrungen aller Marken weltweit profitieren. Diese Vernetzung hilft uns zum Beispiel sehr bei der Einführung und Vermarktung neuer Geschäftsfelder.
VWTB kooperiert mit der Universität des Bundesstaates Rio de Janeiro und anderen Partnern, um die eigenen Kreislaufkapazitäten auszubauen und den Einsatz von erneuerbaren und recycelten Materialien in den Produkten zu erhöhen. Was genau erhofft ihr euch dadurch?
2021 sind wir eine Partnerschaft mit der Universität eingegangen, um Studentinnen und Studenten gezielter auszubilden und neue Strategien zur Nachhaltigkeit zu entwickeln. Dies ist eine sehr erfolgreiche Partnerschaft. Erstens handelt es sich um eine sehr anerkannte Universität, und zweitens befindet sich ihr Campus in unmittelbarer Nähe zu unserem Firmensitz. So konnten wir praktisch auf dem kurzen Dienstweg die Kurse über Kreislaufwirtschaft und Kreislaufdesign entwickeln. Nicht nur die Studierenden haben davon profitiert, sondern auch wir als Unternehmen. Denn die von den jungen Menschen entwickelten Nachhaltigkeitskonzepte haben unsere Teams übernommen – was direkt zu geringeren Abfallmengen geführt hat. Zudem haben wir neue Impulse bekommen, unsere Produktionsprozesse noch besser und vor allem noch nachhaltiger zu gestalten. Eine echte Win-win-Situation: In Zukunft wollen wir diese Kurse und Schulungsinitiativen sogar noch ausweiten.
Du bist auch selbst als Hochschuldozentin im Bereich Nachhaltigkeit tätig. Erzähl uns doch bitte etwas mehr dazu!
Ich unterrichte seit mehr als zehn Jahren Aufbaustudiengänge zum Thema Nachhaltigkeit und bin nun auch an ESG-Aufbaustudiengängen beteiligt. Für mich ist das eine fantastische Aufgabe. Es macht mir Spaß, künftigen Führungskräften und Mitarbeitenden praktisches Wissen zu vermitteln und die Theorie mit der Praxis zu verbinden.
Mich inspiriert die Leidenschaft meiner Studentinnen und Studenten, die aus verschiedenen Bereichen wie Biowissenschaften, Ingenieurwesen und Betriebswirtschaftslehre kommen. Gemeinsam bemühen wir Lehrkräfte uns, ihnen eine verantwortliche Haltung und verantwortliches Handeln zu vermitteln. Denn es sind letztlich die Menschen, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wichtige Entscheidungen treffen werden oder mit den getroffenen Entscheidungen leben müssen, um den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu erreichen.
Seit deinem Eintritt bei VWTB hast du zwei ehrgeizige Unternehmensziele vorangetrieben: die drastische Senkung der Kohlenstoffemissionen bis 2030 und die Erhöhung des Frauenanteils in den Führungspositionen auf 30 % bis zum Jahr 2029. Wo steht das Unternehmen bei beiden Zielen heute?
Ich bin fest davon überzeugt, dass VWTB große Fortschritte bei der Dekarbonisierung und bei unseren Diversitätszielen macht. Wir sind weiter fest auf Kurs.
VWTB ist zwar ein traditionell männlich geprägtes Unternehmen, aber die Welt ändert sich schnell. Wir müssen zwei Dinge weiterhin parallel tun: für potenzielle Mitarbeiterinnen noch attraktiver werden und zugleich die Möglichkeiten für bereits hier arbeitende Frauen stetig verbessern. Die Einbeziehung von Frauen ist nicht nur im Hinblick auf die soziale Verantwortung wichtig, sondern auch eine geschäftliche Notwendigkeit. Denn nur so können wir als Unternehmen gewährleisten, dass sich das immer vielfältigere Profil der Gesellschaft auch in unserer Strategie, unserem Geschäftsmodell und unserer inneren Organisation widerspiegelt.
Als Leiterin des Bereichs Nachhaltigkeit und ESG bist du eine starke Verfechterin der Zusammenführung von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund. Welchen Rat würdest du Frauen geben, die in einer traditionell männerdominierten Branche wie im Verkehrswesen arbeiten möchten?
Erstens glaube ich, dass es wichtig ist, sich nicht davor zu fürchten, die erste Frau zu sein, die im Raum spricht oder die erste Frau zu sein, die in einem traditionell von Männern dominierten Geschäftsfeld arbeitet. Wir sollten es begrüßen, Pionierinnen zu sein. Untersuchungen haben gezeigt, dass Frauen in vielen Ländern mehr Jahre studiert haben als die Durchschnittsbevölkerung. Daher sollte dieses Wissen nicht unterschätzt oder unterbewertet werden.
Zweitens verfügen Frauen über eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit, die sich entwickelt hat, seit der Mensch auf der Erde lebt. Wir haben unser Leben an die Ernährung, die Kinder und die Landwirtschaft angepasst. Unsere emotionale Intelligenz ermöglicht es uns, dass wir uns in neuen Umgebungen und Situationen zurechtzufinden. Daher ist es wichtig, diese Fähigkeiten am Arbeitsplatz zu nutzen.
Der Nachhaltigkeitsbericht der VWTB
VWTB hat jüngst seinen zweiten jährlichen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht, der hier abrufbar ist.