Eines wird kaum noch in Zweifel gezogen: Die Zukunft des Straßengüterverkehrs ist elektrisch. Aufgrund hoher CO₂-Emissionen muss ein Großteil der rund sechs Millionen Diesel-Lkw in Europa möglichst bald durch emissionsfreie Fahrzeuge ersetzt werden. Das ist gut für die Umwelt und die Innenstädte, weil der Elektromotor sauberer und leiser ist als der Diesel. Die Brennstoffzelle wird in diesem Zusammenhang häufig als Ideallösung für den elektrischen Lkw-Antrieb genannt – eine Technologie, die in der Diskussion um das E-Auto bereits ausgeschieden ist. Woher kommt diese Begeisterung mit Blick auf den Fernverkehr? Das gängige Meinungsbild wurde von Studien geprägt, die häufig im Auftrag der Wasserstoffwirtschaft erstellt wurden oder aufgrund veralteter Annahmen das Potenzial der Batterie unterschätzen. Darum ist es Zeit für einen Faktencheck, der mit vielen falschen Vorstellungen aufräumt.
Wer Effizienz will, braucht die Batterie
Der größte Nachteil von Wasserstoff gegenüber Batteriestrom ist sein geringerer Wirkungsgrad. Dieser ist durch das aufwendige Herstellungsverfahren bedingt, denn Wasserstoff muss zunächst unter Einsatz von elektrischer Energie hergestellt und anschließend für den Weitertransport gekühlt und komprimiert werden, ehe er schließlich in der Fahrzeugbrennstoffzelle wieder in Strom umgewandelt wird.
Batterien unterstützen die Energiewende
"Bereits mit dem aktuellen Strommix gäbe es wenige andere Maßnahmen, die mit derart geringen Investitionen solch hohe CO₂-Reduktionen bewirken würden wie die Einführung von batterieelektrischen Lkw."Andreas Kammel
Dieser Vorteil der Batterie wirkt sich auch positiv auf den Bau von Kraftwerken aus: Aufgrund der besseren Energieeffizienz können mit dem Strom einer Windkraftanlage dreimal mehr batterieelektrische Lkw betrieben werden als deren Wasserstoff-Pendants. Selbst mit den Stromspitzen und -flauten der erneuerbaren Energieerzeugung lässt sich dieses Missverhältnis nicht ausgleichen. Für die Versorgung von batterieelektrischen Lkw müssten außerdem deutlich weniger Kraftwerke gebaut werden, weil sie meist zu Tageszeiten laden, an denen bereits heute ein relatives Überangebot an Strom herrscht – nämlich mittags und nachts.
An besonders wind- oder sonnenreichen Tagen könnten die batterieelektrischen Lkw die Energiewende sogar unterstützen, indem sie das Überangebot an Energie zum Laden nutzen und somit das Stromnetz durch Abnahme anstelle von aufwendigem Export entlasten. Hinzu kommt, dass die Emissionen der Batterien nicht nur binnen Monaten amortisiert werden, sondern auch schon bald über 90 Prozent der wertvollen Rohstoffe in den Batterien recycelt werden können, was deren ökologischen Fußabdruck weiter verbessert. Die Batterietechnologie ist damit in der Gesamtschau umweltfreundlicher als die Brennstoffzelle und spart zudem Steuergelder: „Bereits mit dem aktuellen Strommix gäbe es wenige andere Maßnahmen, die mit derart geringen Investitionen solch hohe CO₂-Reduktionen bewirken würden wie die Einführung von batterieelektrischen Lkw“, sagt Andreas Kammel, der bei der TRATON GROUP die Strategie für alternative Antriebe und autonomes Fahren verantwortet.
Engpässe bei grünem Wasserstoff
Dennoch wird Wasserstoff künftig eine wichtige Rolle spielen. In schwer zu dekarbonisierenden Industrien – etwa in Stahlwerken – kann er einen entscheidenden Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. Und auch im Transportsektor können Brennstoffzellenfahrzeuge konkurrenzfähig betrieben werden, etwa bei Fahrzeugen mit sehr unregelmäßigen, aber dann stellenweise hohen Reichweiteanforderungen, die in kurzen Haltepausen noch nicht ausreichend schnell geladen werden können oder die in Regionen mit einer wenig ausgebauten Ladeinfrastruktur unterwegs sind. Auch in Regionen mit besonders günstigem grünem Wasserstoff, zum Beispiel in der Nähe von Nordsee-Windparks oder Importhäfen, könnte sich der Einsatz von Wasserstoff-Lkw lohnen. Doch für die meisten Anwendungsfälle im Transportsektor – vor allem die breite Masse mit regelmäßiger, intensiver Nutzung über lange Distanzen – sind Batterien die bessere Wahl. Das liegt unter anderem auch an der Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff.
Grüner Wasserstoff wird im Gegensatz zu grauem Wasserstoff durch alternative Energien hergestellt. Das bedeutet, dass bei seiner Herstellung keine Nebenprodukte wie Kohlendioxid entstehen. Grüner Wasserstoff ist derzeit jedoch nicht in ausreichender Menge vorhanden und wird es wohl auch in den kommenden zehn Jahren nicht sein. Allein der Bedarf der Industrie wird die gesamte derzeit für 2030 geplante Produktionskapazität an grünem Wasserstoff übersteigen. Die Brennstoffzellen-Lkw müssten also in vielen Märkten mit bestimmten Industrien, die nicht anderweitig dekarbonisiert werden können, um die begrenzte Menge an grünem Wasserstoff konkurrieren. Im Gegensatz dazu können batteriebetriebene Lkw das bereits vorhandene Stromnetz nutzen, sorgen nur für eine moderate zusätzliche Belastung und profitieren vom zunehmenden Ausbau der Ladeinfrastruktur.
Dank deutlich günstigerer Energiepreise sind Batterien auch auf der Langstrecke günstiger
Für Speditionen ist bei dieser Diskussion vor allem der Energiepreis entscheidend. Denn über die Lebensdauer eines Lkw betrachtet, übersteigen die Kosten für das Tanken oder Laden die Anschaffungskosten um ein Vielfaches. Optimistische Studien gehen davon aus, dass grüner Wasserstoff zum Beispiel in nordafrikanischen Solar-Wind-Hybridkraftwerken für ein bis zwei Euro pro Kilogramm hergestellt und via Pipeline nach Mitteleuropa gepumpt werden kann. Doch selbst unter diesen Idealbedingungen würden sich die Herstellungskosten durch Transport- und Umwandlungskosten sowie die Zapfanlage auf einen Tankstellenpreis von mindestens drei bis vier Euro verteuern.
Langfristig kämen vermutlich noch Gebühren und Steuern hinzu, wie sie heute bereits auf Diesel und Strom anfallen. „Im Vergleich zu Wasserstoff ist kommerzieller Strom in fast allen Fällen deutlich günstiger“, sagt Andreas Kammel. Das mache sich vor allem auf der Langstrecke bemerkbar. „Eine Parität der beiden Antriebsformen in der breiten Masse wäre aufgrund der intensiven Nutzung eines Lkw erst dann erreicht, wenn der Wasserstoffpreis an der Tankstelle europaweit auf drei Euro oder weniger pro Kilo sinkt – ein überaus ambitioniertes Ziel.“ Neben günstigeren Energiekosten sprechen auch geringere Wartungskosten für Batterie-Lkw.
Die Ladezeit ist kein Problem
Eines der prominentesten Argumente gegen Batterie-Lkw lautet, dass ihre Ladezeit für den Speditionsalltag zu lang sei. Denn während ein Wasserstoff-Lkw in 10 Minuten betankt werden kann, dauert der Ladevorgang einer batterieelektrischen Lkw-Batterie derzeit noch ein bis zwei Stunden – soll aber bereits 2025 bei nur noch 45 Minuten liegen. „In dieser Diskussion wird oft übersehen, dass Fernfahrer in Europa ohnehin nach viereinhalb Stunden am Steuer eine gesetzlich vorgeschriebene Ruhepause von 45 Minuten einlegen müssen“, so Kammel. „In dieser Zeit lässt sich die Batterie des E-Lkw ohne Fahrzeitverlust und ohne signifikante Auswirkungen auf ihre Lebensdauer laden – sofern denn die nötige Infrastruktur existiert.“
Wie aber verhält es sich in Zukunft beim automatisierten Fahren? Auch in diesem Szenario scheinen Wasserstoff-Lkw aufgrund ihrer – zumindest noch – kürzeren Tankzeiten im Vorteil zu sein. Doch das ist ein Irrtum. Denn bei selbstfahrenden Lkw sitzt ab „Level 4“ kein Fahrer am Steuer, wodurch in den Ladezeiten keine Personalkosten mehr anfallen und die Kosten für den Stillstand somit sehr gering sind. Zwar kann es richtig sein, dass ein batterieelektrischer Lkw, über das Jahr gesehen, einige Kilometer weniger fährt als ein Wasserstoff-Lkw, allerdings verschleißt er dadurch auch langsamer, was zu einer längeren Nutzungsdauer und einer günstigeren steuerlichen Abschreibung führt.
Parallel verstärken sich die grundlegenden Vorteile des batterieelektrischen Lkw, während die Nachteile zunehmend unwichtig werden: „Sobald Lkw automatisiert fahren, spielen die Personalkosten und damit auch Ladepausen kaum noch eine Rolle”, sagt Andreas Kammel. „Zugleich fallen die Energie- und Nebenkosten noch stärker ins Gewicht, da die Fahrzeuge noch intensiver genutzt und auf längere Lebensdauern optimiert werden können.“
E-Trucks weisen eine geringere Nutzlast auf
Ein weiteres Argument, das man in der Diskussion um emissionsfreie Antriebe häufig hört, ist, dass Batterien mit aktuell rund vier Tonnen Gewicht noch zu schwer seien. Und es stimmt: Derzeit ist der Antrieb eines Wasserstoff-Lkw deutlich leichter und auch der Antriebsstrang eines Diesel-Lkw wiegt mit rund zwei Tonnen nur halb so viel wie der eines batterieelektrischen Lkw. Allerdings hat die EU das zulässige Gesamtgewicht für Lkw mit emissionsfreiem Antrieb angehoben – um zwei Tonnen. Deshalb verlieren reine E-Lkw im Vergleich zu Diesel-Lkw bei passender Achskonfiguration auf der Langstrecke kaum oder gar keine Nutzlast. Zudem werden viele Lkw für Transport-Szenarien eingesetzt, die nicht durch das Gewicht beschränkt werden. Ein Lkw beispielsweise, der vorwiegend Versandpakete transportiert, stößt schneller an die Volumen- als an die Gewichtsgrenze, weil seine Fracht zu einem großen Teil aus leichtem Verpackungsmaterial besteht.
Die Zukunft gehört dem reinen E-Lkw
"Der E-Lkw ist nicht nur die Hauptlösung für die 2020er-Jahre, sondern mehr noch für die 2030er-Jahre und darüber hinaus."Andreas Kammel
Zieht man Bilanz, ergibt sich für die breite Masse der Anwendungen ein klares Bild: Batteriebetriebene Lkw sind Wasserstoff-Lkw in Bezug auf Energieeffizienz, Energiepreis und Energieverfügbarkeit überlegen – insbesondere bei einer regelmäßigen, intensiven Nutzung auf der Langstrecke. Selbst breit verfügbarer, günstig importierter Wasserstoff würde dieses Gesamtbild nicht drastisch ändern – tatsächlich würde in einer Gesamtsystembetrachtung durch die Rückverstromung von Wasserstoff in Zeiten hoher Nachfrage auch der Preis für Elektrizität sinken, womit der Wasserstoff weiterhin in anderen Industrien besser eingesetzt wäre. Durch kontinuierliche Verbesserungen bei Ladezeit und Nutzlast entstehen dabei zugleich immer weniger Nachteile. Hinzu kommt, dass sich die Batterietechnologie zunehmend bewährt: Immer mehr Städte rund um den Globus setzen auf batteriebetriebene Busse. Das daraus entstehende Know-how bereichert auch die Entwicklung von batterieelektrischen Lkw. Und während die Kostenvorteile durch immer bessere Batterien und hohe Energiedurchsätze der Ladeinfrastruktur steigen, gleicht sich das Komfortlevel zunehmend an das von Brennstoffzellen an. Für einige spezielle Anwendungen wird Wasserstoff jedoch eine Ergänzung darstellen. „Angesichts dieser Vorteile ist der batterieelektrische Lkw nicht nur die Hauptlösung für die 2020er-Jahre, sondern mehr noch für die 2030er-Jahre und darüber hinaus“, so das Fazit von Andreas Kammel.