Die A2 auf Höhe Alleringersleben. Irgendwo mitten in Deutschland zwischen Magdeburg und Braunschweig. Die sechsspurige Autobahn ist eine der wichtigsten West-Ost-Achsen des Kontinents, verbindet unter anderem die großen niederländischen Häfen mit dem Binnenland – eine Hauptschlagader der europäischen Wirtschaft. 22.000 Lkw pro Tag befahren den Teilabschnitt, der Standort hat eines der höchsten Verkehrsaufkommen in der gesamten EU – und steht damit exemplarisch für die Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, um alternative Antriebe auch im Straßengüterfernverkehr mainstreamfähig zu machen.
Der Wandel hin zur gesamtgesellschaftlichen Elektromobilität ist mit elektrischen Pkw allein nicht zu schaffen. Kaum etwas wird einen größeren Einfluss auf das Gelingen der Mobilitätswende haben als die Dekarbonisierung des Lkw-Verkehrs. Der Wandel zu einer CO₂-freien Fernverkehrslogistik mag auf den ersten Blick komplex wirken, die nötigen Investitionen gar abschrecken. Zahlreiche Studien aber beweisen, dass mit den richtigen Stellschrauben eine flächendeckende Ladeinfrastruktur schnell zu erreichen ist.
Dieses paneuropäische Projekt ist für den Erfolg der Elektromobilität im Transportsektor unabdingbar. Denn zumindest bis zum Ende dieses Jahrzehnts wird die Anzahl der emissionsarmen und emissionsfreien Lkw, die in Europa betrieben werden können, vor allem durch das Niveau der verfügbaren Infrastruktur bestimmt – oder eher begrenzt. Dieser Übergang wird nicht über Nacht erfolgen. Er wird schrittweise, nachhaltig und im Einklang mit dem erforderlichen Netzausbau geschehen. Wenn Ladestationen nicht flächendeckend zur Verfügung stehen, wird es nicht funktionieren.
Aus Konkurrenten werden Partner
Denn ohne ein ausreichend dichtes, leistungsfähiges und belastbares Netz an Ladepunkten werden Transportunternehmen und große Handelsketten einfach nicht in neue Fahrzeuge mit einem entsprechenden Antrieb investieren oder mit dem Übergang beginnen. Ähnlich sieht das auch die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur der bundeseigenen NOW GmbH. „Ein schneller Aufbau von Ladeinfrastruktur für Lkw ist nötig, um die bereits von den Herstellern angekündigten Fahrzeuge versorgen zu können“, so Johannes Pallasch, Sprecher der Leitstelle.
Um dieses Henne-Ei-Problem der Elektromobilität zu lösen, gehen die Lkw-Bauer in Vorleistung. Die Industrie in Form der drei führenden Nutzfahrzeughersteller am Markt hat ihre Verantwortung erkannt. Mit einem vereinbarten Joint Venture will die TRATON GROUP gemeinsam mit Volvo Group und Daimler Truck dem Ausbau der Infrastruktur einen bedeutenden Anschub geben. Sonst erbitterte Konkurrenten planen also zu gemeinsamen Wegbereitern einer emissionsfreien Zukunft zu werden. Die Gründung des Joint Ventures steht unter dem Vorbehalt der behördlichen Genehmigungen.
Die Zusammenarbeit soll nach Abschluss aller behördlichen Genehmigungsverfahren im Jahr 2022 beginnen. Sie planen die Errichtung und den Betrieb von mindestens 1.700 Hochleistungsladepunkten für erneuerbare Energien an und in der Nähe von Autobahnen sowie an Logistik-Hubs und an Abladestellen – explizites Ziel ist die Dekarbonisierung des Straßengüterfernverkehrs. Die beteiligten Unternehmen wollen dafür zunächst insgesamt 500 Millionen Euro investieren.
Laden mit Masterplan
Ein entscheidender Vorteil des Lkw-Verkehrs ist seine Planbarkeit. Anstelle des erratischen Mixes aus Pendelweg, alltäglichen Besorgungen oder Freizeitausflügen, der mit dem Pkw absolviert wird, folgt ein signifikanter Teil des Lkw-Verkehrs regelmäßigen Touren mit genau vorhersehbaren Lade- und Stoppzeiten.
Daher verändern sich auch die gängigen Ladeszenarien für Nutzfahrzeuge. Während bei privaten Elektroautos der öffentliche Raum einen großen Anteil daran hat und dementsprechend auch eine erhebliche Zahl von Ladesäulen am Straßenrand oder auf öffentlichen Parkplätzen installiert werden muss, werden schwere Nutzfahrzeuge zwar auch an autobahnnahen Rastplätzen geladen, vor allem aber über Nacht im Depot oder während des Be- und Entladens in Logistikzentren.
Das führt gemäß Andreas Kammel, der für die Elektrifizierungsstrategie bei der TRATON GROUP verantwortlich ist, dazu, dass „die Netzbelastung deutlich geringer sein kann als oft angenommen“. Im Gegenteil, Lkw können sogar helfen, die Netze zu entlasten. „Nachgeladen wird vorwiegend zur Mittagszeit, wenn zunehmend Solarenergie zur Verfügung steht und die Netze gar nicht wissen, wohin damit. Umgekehrt ist nachts im Depot oder am Rastplatz die Nachfrage nach Strom gering. Die hochpreisigen, netzbelastenden Zeiten vor allem am frühen Abend können wir in den meisten Fällen gut umgehen.“
Weiterhin muss ein Lkw-Fahrer laut Gesetzgeber nach viereinhalb Stunden Lenkzeit ohnehin eine Ruhepause von 45 Minuten einlegen. Mensch und Maschine brauchen neue Energie. „In dieser Zeit kann man mit einem Schnelllader genügend Energie in die Batterie des Fahrzeugs übertragen, um den zweiten Teil der Route ohne Probleme zu bewältigen“, so Andreas Kammel. „Sofern denn die nötige Infrastruktur existiert.“
Grenzübergreifende Anstrengungen sind nötig
Die bessere Planbarkeit der Routen führt dazu, dass die verfügbaren Reichweiten von Batterie-Lkw laut Studien „bereits heute oft schon ausreichen, um lokale und regionale Touren mit E-Lkw zu schaffen“. So sind nach einer Untersuchung der NGO Transport & Environment bereits heute 60 Prozent der Lkw-Flotten großer Speditionen und Handelsunternehmen elektrifizierbar. Nun gilt es, diese Stärken zu nutzen, um auch im Fernverkehr das Potenzial von batterieelektrischen Lkw zu nutzen.
Neben der privaten Ladeinfrastruktur muss dafür jedoch auch die öffentliche Hand investieren. Mit entsprechender Förderung kann der Wandel hin zur Elektromobilität gelingen. Da der Lkw-Fernverkehr oft genug grenzüberschreitend fließt, ist deshalb auch eine grenzübergreifende Anstrengung vonnöten, um den Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur zu bewältigen. „Batterieelektrische Fernverkehrs-Lkw kommen, die Technik ist da, die Netze machen es mit. Was es jetzt braucht, ist politische Unterstützung, um mit dieser Technik schnell und massiv CO2-Emissionen einzusparen. Deshalb muss zeitnah und mit staatlicher Förderung der Aufbau eines Hochleistungsladenetzes für E-Lkw forciert werden“, fasst Catharina Modahl Nilsson, CTO der TRATON GROUP, die Ausgangslage zusammen.
„Beim Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektro-Pkw sollten Megawatt-Charger für Lkw gleich mitinstalliert werden.“
Catharina Modahl Nilsson, CTO der TRATON GROUP,
In der Europäischen Union soll die „Richtlinie über die Infrastruktur für alternative Kraftstoffe“ (AFIR) einen einheitlichen und verbindlichen Rahmen dafür liefern, in welchem Maß die E-Mobilität von schweren Lkw gefördert wird. Auch hier geht es natürlich um das Thema Ladeinfrastruktur. Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft sehen den Vorschlag zwar als ersten wichtigen Schritt an, sind sich aber weitgehend einig, dass er für einen wettbewerbsfähigen Betrieb nicht weit genug geht.
Eine Nachschärfung ist nötig
Es herrscht die Sorge, dass eine gesamteuropäische Vision nicht ausreichend forciert wird. In einem Positionspapier zeigt sich etwa der Europäische Automobilherstellerverband (ACEA) „ernsthaft besorgt“ über den „mangelnden Ehrgeiz“ der aktuellen Richtlinie. Andere Stimmen sprechen von einer „vielversprechenden Grundlage“, die jedoch „nachgeschärft“ werden müsse. „Beim Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektro-Pkw sollten Megawatt-Charger für Lkw gleich mitinstalliert werden“, sagt etwa Catharina Modahl Nilsson, CTO der TRATON GROUP.
Besonders wichtig sei der Ausbau auf den sogenannten transeuropäischen Verkehrskorridoren, Abertausende Kilometer von Straßennetzen zwischen Skandinavien und dem Mittelmeer, zwischen dem Atlantik und dem Balkan. Gerade hier müssten die geplanten Abstände zwischen den einzelnen Ladepunkten verringert werden, optimal seien etwa 20 bis 30 Kilometer. Auf anderen, weniger stark ausgelasteten Fernverkehrsstraßen seien auch Abstände von 50 Kilometern ausreichend. Die Ladeleistung pro Ladestation im Fernverkehr sollte bereits in diesem Jahrzehnt zwischen fünf und zehn Megawatt liegen.
Einfach ausgedrückt, liegt es also an der Politik, eine bedarfsgerechte Ladeinfrastruktur entsprechend zu fördern und zur Verfügung zu stellen – schließlich wird gleichzeitig von den Herstellern eine enorme CO₂-Reduktion ihrer Flotten verlangt. Um die Dimensionen einzuordnen: Einer eher konservativen Schätzung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) zufolge sollte sich die Gesamtzahl allein der Höchstleistungsladepunkte, über den ganzen Kontinent verteilt, im Jahr 2030 auf mindestens 4.000 an etwa 1.700 Standorten belaufen. Diese Zahl bezieht sich rein auf das Pflichtprogramm zur CO₂-Senkung, der Margendruck im Markt kann den Bedarf noch erheblich erhöhen.
Die Autobahn wird zum Zukunftslabor
Zurück an die A2. Die 500 Kilometer lange Strecke zwischen Berlin und Dortmund ist nicht nur eine der Hauptrouten der europäischen Logistik, sondern auch ein Zukunftslabor. Denn hier errichtet das industrieübergreifende Projekt Hochleistungsladen (HoLa) an vier Standorten je zwei Hochleistungsladepunkte und wird diese im realen Betrieb betreiben. In dem Versuch geht es darum, Wissen aufzubauen. Man wolle „entsprechende Standorte für E-Lkw frühzeitig in Logistikprozesse integrieren und Nutzungserfahrungen beim neuartigen Schnellladen von E-Lkw sammeln“, sagt Patrick Plötz, der das HoLa-Projekt für das Fraunhofer-Institut ISI leitet.
An dem Versuch an der A2 sind neben der Wissenschaft aber auch zahlreiche Akteure aus der Privatwirtschaft beteiligt: Energieunternehmen, Netzbetreiber, Lkw-Hersteller und Raststätten-Betreiber. Denn bereits heute ist klar: Um das Megaprojekt erfolgreich zu bewältigen, müssen in Zukunft alle an einem Strang ziehen.