Studierende der Betriebswirtschaftslehre lernen diese Weisheit schon im ersten Semester an der Hochschule: „Im Einkauf liegt der Gewinn.“ An dieser kaufmännischen Gewissheit hat sich bis heute nichts geändert. Wer als Restaurantchef die Zutaten zu teuer auf dem Großmarkt erwirbt, wer als Aktionär zu spät und dann zu überhöhten Kursen ein Investment tätigt, der schmälert seinen Gewinn. Doch das reine Schielen auf den niedrigsten Preis, die günstige Kondition allein genügt heute nicht mehr. Zu vertretbaren Einkaufskonditionen müssen weitere Faktoren hinzukommen, bevor aus einem Deal auch eine langfristig erfolgreiche und nachhaltige Zusammenarbeit wird.
Die Einkaufsabteilung (in Englisch Procurement) spielt gerade in multinationalen Konzernen wie der TRATON GROUP längst eine viel größere und bedeutsamere Rolle für den gesamten Unternehmenserfolg, als gemeinhin angenommen wird. Inzwischen kommt es nicht nur darauf an, bestimmte Waren zu möglichst günstigen Konditionen zu erwerben. Diese Zulieferprodukte müssen zudem in der richtigen Menge, zur richtigen Zeit, mit einer ökologisch und sozial sauberen Weste sowie mit der definierten technischen Qualität beim Besteller eintreffen. Und zwar zuverlässig, da Lagerbestände möglichst gering gehalten werden sollen.
Der neue Run auf die Batteriehersteller
Ganz besonders entscheidend wird das bei zentralen Komponenten wie Batteriezellen. Mit dem weltweiten Siegeszug der Elektrifizierung im privaten Straßenverkehr wie im Straßengüterverkehr gibt es einen regelrechten Run auf die Hersteller. Auch die TRATON GROUP ist dort im engen Austausch, verfolgt das Unternehmen mit seinen vier Marken Scania, MAN, Navistar und Volkswagen Truck & Bus doch ambitionierte Ziele mit Blick auf die Elektrifizierung der eigenen Fahrzeugpalette. Bis zum Jahr 2030 soll jeder zweite gruppenweit verkaufte Lastwagen elektrisch angetrieben werden.
Ein ambitioniertes Ziel, das noch Jahre entfernt scheint. Dessen Fundament aber bereits heute gelegt werden muss. Wer Ende dieser Dekade 50 % aller verkauften Lastwagen elektrifiziert haben möchte, muss bereits heute immense Lieferverträge mit Batterieherstellern abschließen.
Und genau das hat die TRATON GROUP in einem groß angelegten Projekt seit Anfang 2021 getan. Das Bemerkenswerte daran: Nicht länger jede Marke für sich hat die Batterie-Lieferverträge abgeschlossen. Sondern ein gemeinsamer Verbund von Einkaufsexperten der vier Marken und des Volkswagen Konzerns hat die Beschaffung der nächsten Generation an Batteriezellen auf neue Beine gestellt.
TMS ermöglicht effiziente und markenübergreifende Entwicklung
Und damit zugleich unter Beweis gestellt, wie wichtig und zielführend der Ansatz der gemeinsamen Beschaffung bei TRATON ist. Murat Aksel, Head of TRATON GROUP Procurement sowie Chief Procurement Officer MAN Truck & Bus, sagt: „Alle Marken in der TRATON GROUP arbeiten in den Bereichen Entwicklung, Produktion, Einkauf und IT-Infrastruktur daran, gemeinsame Komponenten für mehrere Marken zu nutzen. In den kommenden Jahren werden die Fahrzeuge von Scania, MAN, Navistar und Volkswagen Truck & Bus zunehmend auf dem TRATON Modular System (TMS) basieren. Der neue modulare Baukasten ermöglicht die effiziente und markenübergreifende Entwicklung und vor allem die einfache Integration verschiedener Fahrzeugkomponenten über standardisierte Schnittstellen in die jeweiligen Modelle der Marken. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist, dass alle TRATON-Marken mehr Gleichteile nutzen sowie Synergien in der Entwicklung und im Einkauf heben. Das langfristige Ziel sind gemeinsame emissionsfreie und autonome Mobilitätslösungen, bei der alle Marken in der TRATON GROUP einerseits Synergien nutzen und andererseits ihre Markenidentität mit individuellen Angeboten für ihre jeweilige Kundengruppe behalten.“
„Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist, dass alle TRATON-Marken mehr Gleichteile nutzen sowie Synergien in der Entwicklung und im Einkauf heben.“
Murat Aksel, Chief Purchasing Officer TRATON GROUP,
Umfassende Lieferverträge mit Northvolt und CATL
Konkret hat sich eine Gruppe von Einkäufern aller Marken in den vergangenen Monaten und zwei Jahren in einem aufwendigen, weil technisch anspruchsvollen Einkaufsverfahren mit zwei Hightech-Lieferanten geeinigt: Die nächste Generation der Truck-Batterien für alle TRATON-Marken kommt vom chinesischen Hersteller CATL und seinem europäischen Wettbewerber Northvolt. Mit der bewussten Entscheidung für zwei Lieferanten vergrößert die TRATON GROUP ihren Handlungsspielraum und sichert sich jederzeitige Reaktionsfähigkeit auf besondere Markt- oder Lieferkettenumstände.
Die zugelieferten Zellen werden in Södertälje und Nürnberg zu Modulen und Packs zusammengesetzt und anschließend in den Lastwagen verbaut. Der Beginn der Produktion ist für 2027 geplant. Insgesamt kommen die geplanten Batterien auf eine Leistung von etwa 100 Gigawattstunden für Europa und rund 45 Gigawattstunden für Nordamerika. Das sind in der Summe unfassbar große Energiespeicher – vor allem wenn man bedenkt, dass ab 2025 der größte geplante Batteriespeicher Europas in Sachsen-Anhalt 600 Megawatt Strom speichern soll. 31.250 Haushalte könnten dann für 24 Stunden mit elektrischer Energie versorgt werden. Auch in den USA soll ein Standort für die Batteriemontage entstehen.
„Same need – identical solution“
Eine sprichwörtlich starke Leistung haben auch die Kernmitglieder des markenübergreifenden Einkaufsteams in den vergangenen Wochen, Monaten und Jahren an den Tag gelegt. Ihr Leitgedanke dabei ganz im Sinne des TRATON Modular System (TMS): „Same need – identical solution“.
Und so orchestrierten Christoph Krieg, Vice President Procurement Electrics/Electronics bei MAN Truck & Bus, Daniel Strand, Vice President Electrification bei Scania AB sowie Kevin Fernow, Associate Director Procurement Electronics and eMobility bei Navistar Inc. zusammen die Planungen und Verhandlungen mit Northvolt und CATL. Die Einkäufer für Batteriezellen Florian Blees (MAN), Leandro Lessa Lopes (Scania) und Dino Muftic (Navistar) komplettierten das Team.
Dino Muftic blickt sehr positiv auf das erste große gemeinsame Einkaufsprojekt zurück: „Das Projekt zur Beschaffung von Batteriezellen war ein großartiges Beispiel für die globale Zusammenarbeit im Beschaffungswesen. Die Kategorie der Batteriezellen ist ein sich schnell entwickelnder Bereich. Wir kombinierten das Wissen mehrerer Einkäufer in der Gruppe, um die Lieferantenlandschaft, die Technologie und Fähigkeiten oder die Kostenstruktur der Lieferanten zu verstehen. Wir arbeiteten an einer gemeinsamen Verhandlungsstrategie, die die Prioritäten mehrerer Marken in verschiedenen Märkten berücksichtigte, um das beste Ergebnis für die Gruppe zu erzielen.“
„Das Projekt zur Beschaffung von Batteriezellen war ein großartiges Beispiel für die globale Zusammenarbeit im Beschaffungswesen. Die Kategorie der Batteriezellen ist ein sich schnell entwickelnder Bereich.“
Dino Muftic, Strategic Procurement Category Manager for ePowertrain bei Navistar,
Ziel ist nicht der kleinste, sondern der größte gemeinsame Nenner
Ziel des gemeinsamen Projekts ist nicht der kleinste gemeinsame Nenner, sondern vielmehr der größte. Muftic etwa sieht klare Vorteile für „seine“ Marke: „Navistar profitiert, weil die Kaufkraft der Gruppe größer ist als die von Navistar allein. Außerdem sind beispielsweise Scania und MAN in der Wertschöpfungskette für Batterien stärker vertikal integriert, so dass Navistar viel von dieser vertikalen Integration lernen kann. Außerdem arbeiten wir alle mit ähnlichen Zulieferern zusammen, so dass ein Informationsaustausch über die Zusammenarbeit mit diesen Zulieferern stattfindet.“
Für Christoph Krieg beweist das erfolgreiche Projekt gleich dreierlei: „Der Konzerneinkauf sucht bereits aktiv nach Synergien für TRATON. Der Konzerneinkauf lebt markenübergreifende Zusammenarbeit. Die TRATON GROUP ist bereits heute bereit für die nächste Zellgeneration und damit für die Zukunft des BEV.“
Auch die Beschaffungs-Experten Florian Blees (MAN) und Leandro Lessa Lopes (Scania) sind voll des Lobes – und haben durch das Zusammenschweißen in der Gruppe der Einkäufer eine Menge für sich mitgenommen. Blees: „TMS funktioniert auch im Einkauf. Das nächste Projekt kann also kommen!“ Auch Leandro Lessa Lopes hat seine Kollegen aus dem Procurement bei den weiteren Marken schon ins Kollegenherz geschlossen.
Während der heißen Projektphase hatten sie sich einmal pro Woche virtuell getroffen, hinzu kamen unzählige Meetings mit den Kollegen aus der Entwicklung – die ihre Anforderungen an die neue Batteriegeneration an den Einkauf formulierten. Hier und bei allen anderen Meetings und Aktivitäten rund um das Projekt wurde klar: Die Basis für das gute Ergebnis und den Erfolg liegt in der Zusammenarbeit der crossfunktionalen Teams aus Beschaffung, Engineering und Qualitätsmanagement. Das Team hat gezeigt, dass die gruppenweite Zusammenarbeit in einem strategisch relevanten Bereich erfolgreich gestaltet werden kann. Mit diesem Wissen und der Erkenntnis, dass das Beschaffungsvolumen für die nächste Generation von Batteriezellen markenübergreifend gebündelt wird, ist TRATON schon jetzt bereit für die nächste Batteriezellen-Generation und somit bereit für die Zukunft des elektrischen Antriebs bei Lkw und Bussen auf der ganzen Welt.