Florian Stehbeck, Unternehmensstratege für Dekarbonisierung & Kreislaufwirtschaft bei MAN, hat einen ungewöhnlichen Weg genommen. Von Dieselmotoren geprägten Kindheitsträumen hin zu einer führenden Rolle im Bereich Nachhaltigkeit bei einem der größten europäischen Nutzfahrzeughersteller. In diesem Gespräch blickt er auf seinen Weg von der digitalen Innovation zur Dekarbonisierung. Er spricht über die Herausforderung, Nachhaltigkeit fest in Geschäftsprozesse zu integrieren, und würdigt den Teamgeist innerhalb der TRATON GROUP, der die Branche in Richtung einer nachhaltigeren Zukunft des Transports bewegt.

Florian, Klimaschutz war für dich zunächst kein zentrales Thema. Wie hat sich deine Perspektive verändert? 

Mein Vater hatte eine Fahrschule, ich bin also im wahrsten Sinne des Wortes mit Diesel im Blut aufgewachsen. Ich wäre sogar fast Pilot geworden, das war immer mein Traum. Doch während meines Studiums in Management & Technology an der TU München begann ich, kritischer zu denken. Ein erster Wendepunkt kam, als ich in ein zweijähriges Stipendienprogramm aufgenommen wurde, das sich mit verantwortungsvoller Führung beschäftigte. Diese Erfahrung hat meinen moralischen Kompass geschärft und mein Bewusstsein für soziale und ökologische Themen geweckt, und damit auch mein Verantwortungsgefühl, positive Veränderungen mitzugestalten.  

Bei MAN kam für mich der eigentliche Perspektivwechsel. Ich durfte den MAN Impact Accelerator mit aufbauen und leiten – eine Initiative, die auf ein Gespräch zwischen unserem damaligen CEO und dem Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus zurückgeht. Ziel dieses Programms war es nicht, Geschäfte mit Start-ups zu machen, sondern voneinander zu lernen: von ihrer Denkweise und dem Einfluss, den sie auf die Gesellschaft haben. Außerdem wollten wir ihnen dabei helfen, zu wachsen. Durch die Arbeit mit den Start-ups wurde mir bewusst, vor welchen gesellschaftlichen Herausforderungen wir stehen und welche Verantwortung der Transportsektor dabei trägt. Das hat mich dazu gebracht, meine eigene Rolle neu zu bewerten. Klimaschutz wurde zu einem Thema, das ich aktiv vorantreiben wollte.  

Wie bist du von digitaler Innovation zu Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft gekommen? 

Nach meiner Masterarbeit über LKW-Platooning bin ich 2018 ins Team für digitale Transformation und neue Geschäftsmodelle bei MAN eingestiegen. Mein Fokus lag auf Start-up-Kooperationen, digitaler Strategie und innovativen Kundenlösungen. Parallel dazu habe ich drei Jahre lang den MAN Impact Accelerator geleitet. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass Technologie und Innovation eine positive Wirkung entfalten können, wenn sie von Sinn und Optimismus getragen werden. Vor allem aber habe ich gelernt, dass globale Herausforderungen wie der Klimawandel auch als Chancen für Innovation verstanden werden können. 

Als dann in der Unternehmensstrategie eine neue Position geschaffen wurde, um MANs Aktivitäten zu Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft zu leiten, entsprach das genau meiner Leidenschaft, positive Veränderung voranzutreiben. Mir war klar, dass das nicht leicht werden würde. Aber es hat sich als eine unglaublich bereichernde und spannende Aufgabe erwiesen. 

Florian Stehbeck, Corporate Strategist für Dekarbonisierung & Zirkularität bei MAN
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Globale Herausforderungen wie der Klimawandel können auch als Chancen für Innovation verstanden werden.

Florian Stehbeck Unternehmensstratege für Dekarbonisierung & Kreislaufwirtschaft bei MAN Quote

Wie stellst du sicher, dass Nachhaltigkeitsziele nicht nur auf dem Papier stehen, sondern tatsächlich Geschäftsprozesse verändern? 

Das ist eine der größten Herausforderungen. Bei MAN haben wir unsere wissenschaftlich fundierten Dekarbonisierungsziele, die 2022 von der Science Based Targets initiative (SBTi) validiert wurden, fest in die jährliche Finanzplanung integriert. So ist zum Beispiel unser Ziel, die Treibhausgasemissionen aus der Nutzungsphase unserer verkauften Fahrzeuge bis 2030 um 28 % gegenüber 2019 zu reduzieren, inzwischen eine Mindestanforderung. Keine Planung wird genehmigt, wenn sie dieses Ziel nicht erfüllt. 

Darüber hinaus spielt Bewusstseinsbildung und Haltung eine große Rolle. Wir zeigen immer wieder auf, wie groß unsere Verantwortung tatsächlich ist: Über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg verursacht MAN während der Lebensdauer seiner Produkte rund 0,3 % der globalen, menschengemachten CO₂-Emissionen (Stand 2019). 

Das ist enorm, wenn man bedenkt, dass die Weltbevölkerung jährlich etwa 42,2 Gigatonnen ausstößt und der Transportsektor laut IPCC rund ein Fünftel davon verursacht. 

Doch solch große Zahlen wirken oft abstrakt. Man muss sie greifbar machen. Wenn man versteht, dass die Menschheit pro Sekunde so viele Emissionen verursacht wie ein einziger Dieseltruck über seinen gesamten Lebenszyklus, gewinnt das Thema unmittelbar an Bedeutung für das eigene Geschäft. Mit der Zeit haben wir beobachtet, wie sich Skepsis in Engagement verwandelt: Kolleginnen und Kollegen bringen eigene Ideen ein und suchen Unterstützung, um MANs Transformation in ihrem Arbeitsalltag voranzutreiben. Das hat eine echte Kettenreaktion ausgelöst. 

Warum glaubst du an eine erfolgreiche Dekarbonisierung des Transportsektors? 

Die Lösungen sind da. Technisch und wirtschaftlich sind batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) heute schon realisierbar. Zudem sind sie der wichtigste Hebel, um unsere Branche substanziell zu dekarbonisieren. Was uns derzeit noch ausbremst, ist das Umfeld: Ladeinfrastruktur, geopolitische Unsicherheit und die politischen Rahmenbedingungen.

Wir stehen an einem entscheidenden Punkt für das globale Klima – und man kann sich fragen, ob das 1,5-Grad-Ziel wirtschaftlich überhaupt noch erreichbar ist. Aber ich bleibe optimistisch, was unseren Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel angeht. 

Wenn Kundinnen und Kunden unsere batterieelektrischen Fahrzeuge selbst erleben und sowohl die finanziellen als auch die ökologischen Vorteile erkennen, wird die Akzeptanz weiter steigen. Das löst in der gesamten Branche einen Schneeballeffekt aus. Erste Entwicklungen sehen wir bereits im Stadtbus-Sektor. Jetzt ist es an der Zeit, dass batterieelektrische LKW ihren festen Platz in den Flotten finden. 

Florian Stehbeck, Corporate Strategist für Dekarbonisierung & Zirkularität bei MAN

Wie arbeitet MAN mit der TRATON GROUP zusammen, um seine Nachhaltigkeitsstrategie mit den anderen Marken abzustimmen?  
 
Wir arbeiten eng zusammen und lernen viel voneinander. Ein Beispiel: Scania war die erste TRATON-Marke mit SBTi-validierten Zielen. Das hat MAN inspiriert, nachzuziehen. Umgekehrt verfügt MAN über eine starke Kompetenz im Bereich Wiederaufbereitung, von der Scania profitieren kann. Gemeinsam unterstützen wir auch unsere Schwestermarken auf ihrem Weg zur Nachhaltigkeit. Wir lernen voneinander, treiben uns gegenseitig an, entwickeln gemeinsame Methoden und tauschen Best Practices zu Emissionsberechnungen und Nachhaltigkeitsmaßnahmen aus. 

Auch die Integration der Entwicklungsabteilungen in die TRATON-R&D-Struktur war dabei ein wichtiger Schritt. Gemeinsam entwickeln wir eine modulare Fahrzeugplattform (das TRATON Modular System), in die Nachhaltigkeitsanforderungen, insbesondere zu Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft, von Beginn an einfließen. Dieses enge Zusammenspiel zahlt sich aus: Wenn eine Marke hinterherhinkt, hilft eine andere, sie nach vorne zu bringen – im Sinne des gemeinsamen Fortschritts der TRATON GROUP. Für eine gesunde Umwelt und eine nachhaltige Gesellschaft, deren Teil wir alle sind.