Herr Jehle, Nutzfahrzeugindustrie und Transportflotten stehen vor enormen Herausforderungen bei der Dekarbonisierung des Straßenverkehrs. Elektrifizierte Lkw mit batterieelektrischen Fahrantrieben, deren Serienproduktion nach umfangreichen Praxistests nun anläuft, sind ein Teil der Lösung. Was kennzeichnet eine Lkw- und Bus-Batterie der Zukunft mit Blick auf die Leistungsfähigkeit und die Reichweite?
Die Lkw-Batterie der Zukunft ist leistungsstark und ermöglicht Reichweiten von bis zu 500 Kilometern – vor allem bei kleineren Nutzfahrzeugen zeigt sich schon jetzt, dass der Batterieantrieb wirtschaftlich sehr sinnvoll ist. Und egal, ob es ein rein batterieelektrischer Antrieb oder ein Antrieb mit Wasserstoff-Technik sein wird, die Batterie ist im Transportsektor der Zukunft unverzichtbar. Interessanterweise sind sich viele Akteure in der Transportbrache dieser Einsicht aber noch nicht ganz klar. Zudem scheint die physikalische Einsicht zu fehlen, dass Lkw-Batterien, anders als Pkw-Batterien, künftig nicht zu einem billigen Massenprodukt werden – das Anforderungsprofil ist einfach zu anspruchsvoll.
Gerade in einer Branche mit geringen Margen – wie der Logistikbranche – spielt der Preis aber eine wichtige Rolle. Wie kann sichergestellt werden, dass hochleistungsstarke Batterien für Lkw und Busse bei aller Qualität bezahlbar bleiben?
Je standardisierter Lkw-Batterien werden, desto mehr Lieferanten können Batteriesysteme auf den Markt bringen und ihren Kunden anbieten. Dieses Spiel der Marktkräfte wird dazu führen, dass künftig die Preise sinken und zudem die Qualität besser wird.
Ein anderes, ganz wichtiges Thema hinsichtlich der Bezahlbarkeit von Lkw-Batterien wird die Verwendung von Leasing-Modellen sein: Denn die Anschaffung eines E-Lkw ist kostspielig, verspricht aber geringe Betriebskosten. Da sich viele Transportunternehmen erst einmal keinen neuen E-Lkw leisten können, übernehmen Finanzierer diese Aufgabe. Hoch spezialisierte Finanzierungsunternehmen investieren in das Fahrzeug und in ein möglichst langes Leben der Batterie, die fast die Hälfte des Wertes eines E-Lkw ausmacht. Je schonender die Nutzung, desto länger das Batterieleben beziehungsweise desto höher ihr Restwert. Kurzum: Je länger eine Batterie genutzt wird, desto kosteneffizienter ist sie. Und je länger und höher die Qualität gehalten wird, desto wirtschaftlicher ist es für alle Beteiligten – etwa Besitzer, das Leasing-Unternehmen oder den Vehicle-/Truck-as-a-Service-Anbieter. Wir müssen wegkommen von der Vorstellung, dass eine Lkw-Batterie nur für eine feste Zeitspanne einsatzfähig ist – je schonender die Nutzung, desto länger das Leben.
„Je standardisierter Lkw-Batterien werden, desto mehr Lieferanten können Batteriesysteme auf den Markt bringen und ihren Kunden anbieten. Dieses Spiel der Marktkräfte wird dazu führen, dass künftig die Preise sinken und zudem die Qualität besser wird.“
Claudius Jehle, Gründer und CEO von volytica diagnostics GmbH,
Das alles hängt aber davon ab, wie eine Lkw-Batterie gefahren, wie sie genutzt wird ...
Richtig, die Qualitätssicherung einer Batterie, die Qualitätsabnahme, der Verschleiß – all das hängt massiv von der Nutzung ab, wie sie etwa beim Parken behandelt wird. Denn eine Batterie degradiert auch weiter, wenn sie nicht genutzt wird. Wird sie im vollen Zustand geparkt, degradiert sie viel schneller, als wenn sie nicht vollgeladen ist. All diese Faktoren haben einen Einfluss auf die Qualität der Batterie und damit ja massiv auf den Wert der Fahrzeugflotte – fast 50 % des Flottenwertes entfällt auf ein einziges Verschleißteil! Anders gesprochen – die Senkung der Total Cost of Ownership ist der entscheidende Ansatz. Nicht nur der Anschaffungspreis einer Batterie wird letztlich alleine relevant sein, sondern auch ihre Nutzungsdauer beziehungsweise ihr Restwert. So kann eine hochpreisige Batterie, die viele Jahre genutzt wird, viel wirtschaftlicher sein als eine preiswerte Batterie, die bereits nach drei Jahren getauscht werden muss.
Bedeutet das dann im Umkehrschluss auch, dass die Transportunternehmen dabei unterstützt werden sollten, wie sie schonend mit ihrer Batterie umgehen?
Der Eigentümer, der Finanzierungsanbieter und auch ein etwaiger Service Provider werden mit spitzem Bleistift rechnen und alles unternehmen, damit eine stressfreie Nutzung der Batterie möglich ist. Etwa durch den Einsatz von digitalen Tools, die den Logistiker unterstützen und ihm sagen, wann etwa die Batterie aufgeladen werden muss oder dass die Batterie nicht vollgeladen im Depot abgestellt werden soll. Und wer sich an diese Vorschläge hält, erhält zum Beispiel günstigere Leasingraten. Alles dreht sich dabei um den Wert der Batterie.
Welche Rolle wird künftig die Steigerung der Energiedichte einnehmen? Und wie verhält es sich mit Effizienzsteigerung, Nutzungsoptimierung oder einer besseren Ladezustandsbestimmung?
Ein sehr interessantes Thema. Die Steigerung der Energiedichte in den Batterien beziehungsweise in den Batteriesystemen lässt sich auf verschiedene Weisen herbeiführen. Momentan werden Unsummen investiert, um durch Optimierung der chemischen Zusammensetzung noch ein paar Prozentpunkte mehr Reichweite rauszuholen. Das kommt in gewisser Weise an seine Grenzen, insbesondere weil die Steigerung der Energiedichte in der Regel mit einer Abnahme der Lebensdauer einhergeht. Diese Zwickmühle ist schlecht für Nutzfahrzeuge – dort brauchen wir ein langes Leben, sonst rechnet sich das Investment nicht. Also wird die Rolle der Software, die die Batterie steuert und überwacht, an Bedeutung zunehmen. Mir sind Dutzende Fälle – etwa in einer E-Bus-Flotte in den Niederlanden – bekannt, bei der der Ladezustand eines jeden einzelnen Fahrzeugs um mindestens 10 % falsch eingeschätzt wird. Wir investieren also viele Milliarden Euro, um ein, zwei, drei Prozentpunkte mehr Energiedichte in die Chemie reinzubekommen, wissen aber in der Größenordnung von 10 % nicht, wie voll die Batterien eigentlich wirklich sind – absurd.
Also wird es immer wichtiger zu wissen: Was ist eigentlich noch drin in der Batterie? Wie lange kann ich sie noch nutzen? Mit dem Einsatz dieser intelligenten Diagnosesysteme könnte auch der Standort Europa langfristig punkten. Denn in Europa werden kaum Batterien hergestellt und die, die hergestellt werden, werden sehr oft von asiatischen Herstellern in Europa produziert. Wenn wir aber ein intelligentes System draufsetzen, dass die Reichweite und Leistung einer Batterie verbessert und realistisch einschätzt, hätten wir ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber unseren asiatischen Mitbewerbern.
Eine zentrale Frage bei der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung lautet: Wann hat eine Batterie ihr Lebensende erreicht? Heute wird das sogenannte End-of-Life mit dem Garantieende gleichgesetzt. Dieser eingeengte Blick führt dazu, dass unzählige Batterien, die eigentlich noch voll funktionsfähig sind, vorzeitig ausgesondert werden. Das ist so wie mit den Joghurts oder mit einer Konservendose: Da steht ein Mindesthaltbarkeitsdatum drauf und nicht ein maximales Haltbarkeitsdatum. Wir können davon ausgehen, dass 0 % der Batterien dafür ausgelegt sind, vor Ende dieser Garantiezeit auszufallen – folglich bedeutet das, dass sämtliche Batterien, die sich am Ende ihres ersten Garantielebens befinden, noch nicht „schrottreif“ sein müssen. Bei guter Nutzung können Batterien fast doppelt so lange wie das angegebene Garantieende leben. Eine Batterie kann und sollte also auch noch nach Ende der Garantie verwendet werden. Und wenn sie dann meinen Anforderungen nicht mehr entspricht, kann ich wenigstens einen möglichen Käufer für eine zweite Nutzung suchen – und mit einem Zertifikat nachweisen, wie sie benutzt wurde und wofür sie noch gut ist.
Als Pufferspeicher bei Solar- und Windanlagen oder zum Beispiel auch als mobiler Energiespeicher für Veranstaltungen?
Genau. Es liegt an Herstellern, Recyclern und an den Besitzern, mit dem teuren und wertvollen Wirtschaftsgut Batterie gut umzugehen. Und dabei erwarte ich von den Fahrzeugherstellern Kooperationsbereitschaft. Natürlich ist es eine große Aufgabe, den Besitzer da hinzukriegen, dass er so verantwortungsvoll denkt und handelt. Oder er muss jemanden haben, der ihm diese Arbeit abnimmt.
„Je länger eine Batterie genutzt wird, desto kosteneffizienter ist sie. Und je länger und höher die Qualität gehalten wird, desto wirtschaftlicher ist es für alle Beteiligten – etwa Besitzer, das Leasing-Unternehmen oder den Vehicle-/Truck-as-a-Service-Anbieter.“
Claudius Jehle, Gründer und CEO von volytica diagnostics GmbH,
Permanentes und systematisches Monitoring sowie eine strategische Lebensdaueroptimierung verlängern den Lebenszyklus einer Batterie für Lkw und Bus. Welche Kompetenzen braucht es hierfür und wie können diese flächendeckender aufgebaut werden?
Am besten wäre es, wenn die Besitzer ihre Batterie verstehen oder diese Aufgabe an einen Dienstleister übertragen, der das Flottenmanagement übernimmt. Fahrzeuge werden mehr und mehr vernetzt, klassische Lkw mit Dieselantrieb kommunizieren ihre Wartungsintervalle schon heute in die Flottenmanagement- und Asset-Management-Systeme hinein. Das ist also der Punkt, an dem der Besitzer eines E-Lkw auf seine Fragen zur Batteriequalität eine Antwort bekommen muss.
Damit E-Lkw und E-Busse klimafreundlich über die Straßen rollen können, brauchen sie Strom. Was ist neben dem Aufbau der Ladeinfrastruktur noch nötig?
Der Ausbau einer flächendeckenden Versorgungsinfrastruktur für E-Nutzfahrzeuge hängt den Ausbauzielen hinterher. Hier haben wir das klassische Henne-Ei-Problem: Niemand kauft E-Lkw, solange es keine leistungsstarke Versorgungsinfrastruktur gibt. Und niemand baut die Infrastruktur, solange es keine Nutzer gibt. Eine kleine Lösung des Problems könnten innovative lokale Logistik-Hubs zur dezentralen Energiegewinnung mit gebrauchten Batterien als Pufferspeicher an Plätzen sein, die etwa über eine Stadt verteilt werden und lokal viel bewirken können. Grundsätzlich brauchen wir hierzulande mehr Verständnis für das Thema Batterie. Wir stellen fest, dass bei diesem Thema aktuell sehr viel Unwissen vorherrscht. Das ist kein Vorwurf – immerhin ist es ein sehr komplexes und auch relativ neues Thema. Demzufolge ist mehr Wissen zu diesem Thema nötig. Und dann sollten die Hersteller dazu verpflichtet werden, Informationen über die eingesetzten Batterien und deren Datensignale mit anderen Stakeholdern zu teilen. Ansonsten sind die Nutzer gar nicht in der Lage, ihre Batterie gut zu behandeln.
Welche weiteren Stellschrauben sehen Sie als notwendig, um den Nutzfahrzeugverkehr zu elektrifizieren?
Es muss ein breites Verständnis für die Herausforderungen geschaffen werden, aber vor allem auch für die tollen Chancen, die diese Technologie mit sich bringt. Zudem müsste eine Abkehr von Aussagen erfolgen, dass eine Batterien nur eine bestimmte kurze Zeit genutzt werden kann. Und dann bräuchten wir eine ordentliche Portion Pragmatismus in der öffentlichen Diskussion – und zwar dort, wo der E-Lkw oder E-Bus tagtäglich im Einsatz ist. Und dass auch mal mit den Fahrern gesprochen und gefragt wird: Welche Erfahrungen macht ihr in der täglichen Praxis? Ich habe keinen Fahrer getroffen, der vom Batterieantrieb nicht begeistert ist.
Ein Blick in die Zukunft: Wann werden Menschen und Güter mithilfe leistungsfähiger Batterietechnologie völlig CO2-neutral durch Europa transportiert?
Ich wage keine Prognosen. Aber ich hoffe, dass ich das noch erleben werde. Und da bin ich sehr zuversichtlich.