Als CEO von Zenseact stehen Sie bei der Entwicklung modernster Software für autonomes Fahren in der ersten Reihe. Können Sie uns etwas über Ihren Hintergrund und Ihre Erfahrungen in der Softwarebranche erzählen, insbesondere in Bezug auf autonome Fahrsysteme?
Ich bin seit drei Jahren CEO von Zenseact, einem Unternehmen der Volvo Car Group, das für die Entwicklung autonomer und innovativer Software für Fahrerassistenzsysteme zuständig ist. Bevor ich zu Zenseact kam, war ich Chief Digital Officer bei Volvo Cars und davor verantwortlich für die Software und Elektronik im Auto. Vor meiner Zeit bei Volvo Cars habe ich 20 Jahre lang in der Telekommunikationsbranche gearbeitet und innovative eingebettete Softwaresysteme für die Telekommunikationsinfrastruktur entwickelt. Ich habe also einen recht umfangreichen beruflichen Hintergrund sowohl in der Software- als auch in der Automobilbranche und konzentriere mich nach wie vor auf beides, mit Anwendung auf autonome Technologie.
Wie gehen Sie an Ihre unterschiedlichen Aufgaben als CEO von Zenseact und als Mitglied des TRATON-Aufsichtsrats heran, wo Sie mit so vielen Stakeholdern und unterschiedlichen Interessen zu tun haben?
Mein Tagesgeschäft bei Zenseact besteht aus operativen Aufgaben. In dieser Funktion arbeite ich mit meinem Führungsteam zusammen und leite das operative Geschäft. Meine Rolle im TRATON-Aufsichtsrat ist ganz anders ausgeprägt, vor allem weil die deutsche Aufsichtsratsstruktur den Schwerpunkt auf den Aspekt der Aufsicht legt. Daher bin ich nicht in das operative Geschäft von TRATON eingebunden. Ich glaube, dass ich aufgrund meiner Kenntnisse in der Automobil- und Technologiebranche, einschließlich der Produkte und der digitalen Unternehmenstransformation, angesprochen wurde, dem Aufsichtsrat beizutreten. Dieser Hintergrund ermöglicht es mir zu verstehen, welche Fragen zu stellen sind und welche Chancen und Risiken sich ergeben können.
„Was das autonome Fahren im Allgemeinen betrifft, so glaube ich, dass wir nach übermäßigem Optimismus und großen Zweifeln der letzten Jahre nun zu einer realistischeren Sichtweise gekommen sind. Wir erleben gerade eine aufregende Zeit, da wir sehen, wie viele reale Anwendungsfälle zum Praxiseinsatz kommen.“
Ödgärd Andersson, Mitglied des Aufsichtsrats
Was erwarten Sie von der Transformation der Transportbranche hin zu autonom fahrenden Lkw? Wo würden Sie die Entwicklung des autonomen Fahrens in der Branche in den nächsten fünf bis zehn Jahren gerne sehen?
Was das autonome Fahren im Allgemeinen betrifft, so glaube ich, dass wir nach übermäßigem Optimismus und großen Zweifeln der letzten Jahre nun zu einer realistischeren Sichtweise gekommen sind. Wir erleben gerade eine aufregende Zeit, da wir sehen, wie viele reale Anwendungsfälle zum Praxiseinsatz kommen. Das Besondere an der Lkw-Branche im Gegensatz zu den Pkw, mit denen ich normalerweise arbeite, ist, dass die Anwendungsfälle begrenzter sind und sich daher leichter und schrittweise umsetzen lassen. Beim Pkw kann man zwar auch schrittweise vorgehen, aber man muss im öffentlichen Verkehrsraum arbeiten. Bei autonom fahrenden Lkw wird der Einstieg erleichtert, indem man in geschlossenen Bereichen beginnt, zum Beispiel bei industriellen Anwendungen mit abgeschlossenen Zonen wie etwa in Industriegebieten, Häfen und Minen im Bergbau, ohne Fußgänger und Radfahrer. Ein potenzieller Fallstrick bei diesem Ansatz ist jedoch, dass man am Ende eine Technologie auswählt, die nicht über diese frühen Anwendungsfälle hinausgehen kann. Deshalb muss es bei autonom fahrenden Lkw eine Progression geben, um mehr und mehr Verkehrsarten abzudecken.
Der Business Case für die Automatisierung beim Lkw ist interessant, denn Lkw-Fahrer sind sowohl eine knappe Ressource als auch ein Kostenfaktor. Was diese Entwicklung angeht, so glaube ich, dass wir jetzt einen Durchbruch erleben. Menschliche Fahrer wird es noch lange geben, aber als Branche haben wir die Reise hin zum autonomen Fahren bereits begonnen. Und ich glaube, dass wir bald noch mehr Einsätze sehen werden, die sich von bestimmten Autobahnabschnitten und geschlossenen Bereichen mit niedrigeren Geschwindigkeiten auf andere Einsatzfelder ausweiten werden.
Im Rahmen des Joint Ventures Milence arbeitet TRATON mit der Volvo Group und Daimler Truck zusammen, um eine Ladeinfrastruktur für batterieelektrische Nutzfahrzeuge in ganz Europa aufzubauen. Welche Bedeutung haben solche strategischen Partnerschaften für Sie im Nutzfahrzeugsektor?
Wenn wir die Lage aus der Gesamtperspektive betrachten, ist Milence ein sehr interessantes Beispiel. Die gesamte Branche durchläuft gerade eine ziemlich drastische Transformation, bei der Bereiche wie Elektrifizierung und der verstärkte Einsatz von Software und digitalen Inhalten mit neuen Geschäftsmodellen zusammenwirken. Diese können nun sehr viel zielgerichteter als bisher umgesetzt werden. Bei dieser Entwicklung ist es meiner Meinung nach für alle Beteiligten wichtig, sich zu überlegen, was sie selbst kontrollieren wollen und was für das Unternehmen strategisch wichtig ist – im Gegensatz zu den Dingen, die einfach funktionieren müssen oder bei denen eine Zusammenarbeit erhebliche Vorteile bringt. In diesen Fällen halte ich es für sehr sinnvoll, zusammenzuarbeiten, um eine Skalierbarkeit zu erzielen und um die Kosten zu teilen, wie zum Beispiel beim Aufbau der Ladeinfrastruktur. Wenn es aber darum geht, sich Vorteile im Wettbewerb zu erschaffen, kommt es bei der Kontrolle eher auf die Optimierung der Geschwindigkeit an, da der Einsatz viel kontinuierlicher und schneller wird als bisher.
TRATON hat eine vielfältige Belegschaft, in der Menschen aus verschiedenen Kulturen und mit verschiedenen Hintergründen zusammenkommen. Sie haben interkulturelle Teams geleitet. Wie kann das Unternehmen Ihrer Erfahrung nach ein integratives und kollaboratives Umfeld innerhalb der Organisation fördern?
Die richtigen Talente zu finden, ist keine leichte Aufgabe. Der gesamte Wandel, insbesondere im Bereich der autonomen Fahrzeuge, aber auch ganz allgemein im Automobilsektor, geht in Richtung neuer Kompetenzen. Es reicht nicht mehr aus, traditionelle Maschinenbauingenieure und Wirtschaftsfachleute einzustellen, sondern man braucht auch Fachleute mit Kenntnissen in digitalen Technologien und Betriebswirtschaft sowie Experten für künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen.
Wenn man die besten Talente für sich gewinnen will, muss man eine internationale Belegschaft anziehen. Dann muss man diesen Menschen aber auch das Gefühl geben, dass sie im Unternehmen etwas bewirken können und dass man ihnen zuhört. Andernfalls werden die Talente nicht im Unternehmen bleiben, und sie werden nicht in der Lage sein, das zu erreichen, was sie sonst erreichen könnten. Ich finde das wirklich wichtig, aber auch ziemlich schwierig, weil wir alle viele Vorurteile mit uns herumtragen. Wir müssen uns dessen bewusst sein und uns ständig selbst hinterfragen. Ich habe in verschiedenen Teilen der Welt gearbeitet und festgestellt, dass Menschen mit demselben Wissen zu ganz unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen können. Wenn man globale Kunden hat, ist es sehr hilfreich, wenn die Belegschaft ebenfalls global ist. So kann man die Fakten, die man vor sich sieht, aus verschiedenen Perspektiven betrachten.
„Wenn man globale Kunden hat, ist es sehr hilfreich, wenn die Belegschaft ebenfalls global ist. So kann man die Fakten, die man vor sich sieht, aus verschiedenen Perspektiven betrachten.“
Ödgärd Andersson, Mitglied des Aufsichtsrats
Was reizt Sie am meisten an der Tätigkeit im TRATON-Aufsichtsrat und welche Botschaft möchten Sie den TRATON-Mitarbeitern, -Aktionären und -Kunden für die Zukunft des Unternehmens vermitteln? Welche Impulse können Sie TRATON geben?
Zunächst einmal fühle ich mich geehrt und freue mich sehr, dass ich Mitglied im TRATON-Aufsichtsrat bin. Ich denke, dass TRATON ein Portfolio an wirklich starken Marken hat, die in der Vergangenheit bedarfsgerechte Technologien für ihre Kunden entwickelt haben und dadurch innovativ gewesen sind. Ein solch guter Ruf ist ein guter Ausgangspunkt. Gleichzeitig fällt es Unternehmen, die sich in der Vergangenheit gut behauptet und gute Produkte entwickelt haben, schwer, sich Veränderungen anzupassen. Über das Risiko sollte man sich im Klaren sein.
Mit Blick auf die Zukunft glaube ich, dass die Herausforderung für das Unternehmen darin bestehen wird, diese starken Beziehungen zu den Kunden weiter zu pflegen und weiterhin großartige Produkte zu entwickeln, ohne dabei auf eine schnelle Transformation zu verzichten. Diese Herausforderung stellt sich nicht nur bei TRATON, sondern auch bei allen erfolgreichen Unternehmen, die schon seit vielen Jahren bestehen. Wenn es gelingt, dabei das Gleichgewicht zu halten, entstehen große Chancen.
Was die Impulse angeht, so kann ich auf langjährige Erfahrungen bei der Transformation in der Automobilbranche zurückgreifen. Auch wenn sich das Pkw-Geschäft von dem mit Lkw ein wenig unterscheidet, sind viele Grundlagen gleich. Ich hoffe also, dass ich mit meinen Erfahrungen dazu beitragen kann, gemeinsame Schnittmengen zu finden.