8:30 Uhr – morgens in einem Büro im Berliner Regierungsviertel. Es treffen sich zwei Experten aus Industrie und Wissenschaft – Dr. Atif Askar, TRATON Head of Business Development, Strategy and M&A, und Mobilitätsforscher Dr. Weert Canzler. Sie diskutieren über den Transport und die Logistik der Zukunft. Im Fokus stehen die Themen alternative Antriebe, Automatisierung und Digitalisierung. Sie werden den Transport und die Logistik der Zukunft nachhaltig verändern und prägen und damit über den künftigen Erfolg eines Unternehmens entscheiden. Erfahrt im Folgenden mehr darüber.
Prolog – Die Ausgangssituation
Ein Zeitsprung – wir schreiben das Jahr 2030 und es ist ebenfalls 8:30 Uhr morgens. Wir befinden uns allerdings nicht in Berlin, sondern 300 Kilometer entfernt im Hamburger Hafen. Mehrere Container sind per Schiff angekommen und werden gerade abgeladen. Im Süden Deutschlands – genauer, in der Münchner Innenstadt – erwartet bereits Händler Leopold A. diese Waren. Er besitzt zudem mehrere Lagerhäuser an verschiedenen Standorten im Münchner Umland – diese sollen ebenfalls beliefert werden. Das Transportmittel ist ein Lkw. Vor ihm liegt jetzt eine Strecke von 800 Kilometern bis nach München und es bleibt ein Zeitfenster von maximal zwölf Stunden. Leopold A. will praktisch „live“ über den Status seiner Lieferung informiert sein.
Teil 1: Sustainability – Wie fährt der Lkw und wie wird er angetrieben?
Atif Askar: Drei zentrale Fragen des künftigen Straßentransports lassen sich am Szenario erkennen: Erstens, wie fährt das Fahrzeug und wie wird es angetrieben? Zweitens, fährt der Lkw auf der Langstrecke bereits hoch- bzw. vollautomatisiert oder sogar autonom? Drittens, wie ist der Lkw vernetzt?
Weert Canzler: Zur ersten Frage: Die Elektrifizierung muss kommen – zur Dekarbonisierung und damit für den Klimaschutz. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass 2030 bereits der Lkw mit alternativem Antrieb über die Autobahn rollt. Auch industriepolitische Gründe spielen da hinein.
Atif Askar: Guter Punkt. Die Europäische Union hat sich Anfang 2019 auf eine CO₂-Regulierung für Lkw über 16 Tonnen geeinigt und gibt damit die Leitplanken vor. Zudem hängt der Umstieg auf alternative Antriebe von weiteren Faktoren ab – wie der Verfügbarkeit der Betankungs- und Ladeinfrastruktur.
Weert Canzler: Der Volkswagen Konzern hat sich ja zur konsequenten Elektrifizierung „committed“. Das muss man aus meiner Sicht politisch noch besser absichern. Es gibt den Unternehmen Planungssicherheit für Forschungs- und Entwicklungsprojekte, wenn sie wissen: So sieht 2030 die Infrastruktur aus. Was es braucht, sind klare Vorgaben – und dennoch sollte eine gewisse Technologieoffenheit gewährleistet werden.
Atif Askar: Was verstehen Sie unter Technologieoffenheit?
Weert Canzler: Die Technologieoffenheit beziehe ich auf die Elektrifizierung und die Öffnung für sowohl batterieelektrische Fahrzeuge – kurz BEV genannt – als auch für Lkw, die mit einer Brennstoffzelle auf Basis von Wasserstoff angetrieben werden.
Atif Askar: Aktuell wird anhand dieser beiden Technologien viel in der Öffentlichkeit diskutiert, welche die richtige Lösung ist. Halten Sie E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, für eine weitere denkbare Alternative?
Weert Canzler: E-Fuels werden vermutlich im Langstreckenbereich auf der Straße keine große Rolle spielen. Vielmehr werden diese für die Luftfahrt zur Dekarbonisierung gebraucht. Die zentrale Frage lautet daher: Setzt sich der BEV oder die Brennstoffzelle durch?
Atif Askar: Und innerhalb dieses Konzeptstreits – wie ist Ihre Einschätzung? Rollt der Lkw aus dem Szenario im Jahr 2030 mithilfe eines BEV oder mit Brennstoffzelle über die Autobahn?
Weert Canzler: Meine Vermutung ist, dass sich die Brennstoffzelle durchsetzen wird. Die Betankung ist zwar eine Herausforderung, Wasserstoff ist aber erheblich energiereicher als jede Batterietechnik.
Atif Askar: Stimmt. Aber es gibt auch gute Argumente für den BEV: Die Batteriekosten sind in den letzten Jahren immer mehr gefallen, zudem spricht die Energiebilanz für die Batterie. Die Brennstoffzelle hat hier einen wesentlichen Nachteil: Aus jeder Kilowattstunde, die man reinsteckt, kommen 0,2 Kilowattstunden wieder raus. Bei der Batterie sind es 0,8.
Weert Canzler: Allerdings hätten wir am Hamburger Hafen Energieanlagen praktisch vor Ort. Dadurch könnte die Elektrolyse für den Wasserstoff relativ einfach auf Basis von überschüssiger Windenergie durchgeführt werden – das würde das Argument der Energiebilanz aushebeln.
Atif Askar: Das wäre genau der Fall, wo es Energie praktisch umsonst gibt. Was macht man aber später mit der Rückfahrt aus München, wo es nicht so viel überschüssige Energie aus Windkraft gibt? Oder warum nimmt man nicht die vorhandene Energie und speist sie in ein Netz für das Laden eines BEV-Lkw ein?
Weert Canzler: Das wäre in unserem Gedankenexperiment ebenfalls denkbar. Sobald es genügend überschüssige Energie gibt oder der Wasserstoff bereits vorliegt, hat die Brennstoffzelle gute Chancen.
Atif Askar: Das sehe ich ähnlich. Wenn der Lkw lange Strecken mit schweren Lasten und womöglich noch autonom fährt, dann wird Wasserstoff seine Nische finden. Das zeigt: Wie so häufig in unserer Industrie gibt es nicht DIE eine Antwort. Je nach Anwendungsfall sieht die beste Antwort anders aus – und ist abhängig von der Infrastruktur sowie von Märkten, Produktinnovationen und Kundenbedürfnissen.
Weert Canzler: Was beeinflusst die Kaufentscheidung des Kunden?
Atif Askar: Unser Kunde ist in dem Szenario nicht Leopold A., sondern der Spediteur, dem der Lkw gehört. Und dieser muss knallhart mit der Marge rechnen. Es fährt niemand einen Elektro-Truck, weil der so toll aussieht. Es ist die Kalkulation, die den Ausschlag zum Kauf gibt. Dazu sind auch staatliche Anreize notwendig.
Weert Canzler: … und Produkte, die zugleich effizient und emissionsfrei sind. Erstmals in der Technikgeschichte spielt die Dekarbonisierung bei der Produktentwicklung eine so zentrale Rolle – und beeinflusst unmittelbar den Unternehmenserfolg. Zudem bedarf es für eine erfolgreiche Elektrifizierung ganz klar eines veränderten Mindsets, eines Umdenkens aller Akteure der Transport- und Logistikbranche.
Teil 2: Automated Driving – Fährt der Lkw auf der Langstrecke automatisiert oder autonom?
Atif Askar: Kommen wir zum Zukunftsthema Automatisierung. Glauben Sie, dass Europa schnell genug ist, um die rechtlichen Rahmenbedingungen für autonomes Fahren zu schaffen?
Weert Canzler: Im Moment sieht es nicht so aus. Das liegt auch an der Innovationskultur in Europa, die sich beispielsweise von der in den USA unterscheidet. In Europa werden erst alle Risiken antizipiert – also was könnte passieren. Das hat natürlich den Vorteil, dass bestimmte Fehler nicht gemacht werden. Der Nachteil ist, dass Prozesse einfach lange dauern.
Atif Askar: Als Unternehmen dürfen wir aber im internationalen Wettbewerb nicht den Anschluss verlieren. Damit ein Lkw in nicht allzu ferner Zukunft vollautomatisiert oder sogar autonom nach München fährt, müssen im Vorfeld Millionen an Testkilometern gefahren werden. Die Testkilometer sind aber im privaten Raum nur begrenzt zu holen. Die immensen Investitionen lohnen sich nur, wenn man den Weg in die Breitenanwendung findet.
Weert Canzler: Das wird daher zu rechtlichen Diskussionen mit politischen Entscheidungsträgern führen. Insbesondere Genehmigungsprozeduren für den öffentlichen Raum sind kompliziert. Wir brauchen daher hier dringend eine Öffnungsklausel.
Atif Askar: Was ist im Bereich des autonomen Fahrens möglich? Blicken wir nach Australien – bereits heute lässt Scania ein vollautonomes Fahrzeug in einer Mine fahren. Es holt sich seine Ladung und fährt die standardisierte Strecke ab. Das wäre doch auch für das Szenario 2030 denkbar. Im Hafen könnte die Ladung für Leopold A. vom Containerschiff zum wartenden Lkw bereits heute vollautonom transportiert werden.
Weert Canzler: Ja, das ist für diesen Anwendungsfall gut möglich – auch deshalb, weil auf privatem Gelände die Rechtslage einfacher ist. Vermutlich sind vollautonome Fahrzeuge im öffentlichen Raum aber 2030 noch keine Realität – sondern erst wesentlich später. Die Komplexität, insbesondere im städtischen Bereich, ist einfach immens. Anders verhält es sich auf der Autobahn mit dem Konvoi-Fahren, also dem Platooning.
Atif Askar: Das Platooning sehen wir als einen Entwicklungsschritt auf dem Weg zum autonomen Fahren. Möglich wäre, dass der Lkw 2030 auf einer gesonderten Fahrspur nach München fährt. Das würde auch die rechtlichen Aspekte vereinfachen. Wenn man das Risiko minimiert oder keinen gemischten Verkehr hat, dann ist das Szenario keine ferne Zukunftsmusik mehr.
Weert Canzler: Welche Rolle spielt der Fahrer in dem Zukunftsszenario?
Atif Askar: Eine sehr zentrale. Eines zeichnet sich bereits ab: Der Beruf des Lkw-Fahrers verliert immer mehr an Attraktivität. Aktuell gibt es bereits eine riesige Fahrerknappheit in Europa. In 15 bis 20 Jahren können bestimmte Güter vielleicht nicht mehr transportiert werden, weil die Fahrer nicht da sind. Automatisiertes Fahren oder Platooning entlasten den Fahrer und können helfen, die Attraktivität des Berufs des Lkw-Fahrers zu steigern.
Weert Canzler: Jetzt haben wir viel über den Transport auf der Autobahn gesprochen. Was passiert aber, wenn der Lkw sich dem urbanen Raum nähert? Unabhängig von der Frage der Automatisierung ist meine Vermutung, dass man mit großen Fahrzeugen nicht mehr so einfach in die Städte reinkommt.
Atif Askar: Wobei die neuen Antriebstechnologien wie Elektro-Lkw auch neue Möglichkeiten eröffnen. Sie sind lokal emissionsfrei und vor allem sind sie leise. Ein Supermarkt in einem Wohngebiet könnte so auch nachts beliefert werden – ohne den Schlaf der Anwohner zu stören.
Weert Canzler: Das wäre eine spürbare Verbesserung im Vergleich zur aktuellen Situation. Bereits heute zeichnet sich allerdings ab, dass für die Bewohner europäischer Städte der öffentliche Raum zunehmend wichtiger wird. Dieser wird zurückerobert und neu verteilt – zugunsten von Parkanlagen, Spielplätzen oder Fahrradwegen. Und diese Entwicklung wird sich fortsetzen.
Atif Askar: Die Rückeroberung des urbanen Raums, wie Sie ihn skizzieren, ist ein spannender Aspekt. Anhand unseres Szenarios wirft er die Frage auf, wie die Waren für Leopold A. dann zu ihrem Zielort transportiert werden. Hier wären sogenannte Hubs interessant. Das sind Umschlagpunkte beispielsweise am Stadtrand.
Weert Canzler: Überall dort, wo die Stadt der Lebensraum ist, wird alles zu kleineren Einheiten und zur dezentralen Nutzung gehen. Man transportiert die Waren für Leopold A. über die Autobahn zu den Hubs und lädt dort um. Die Feinverteilung würde mit anderen Fahrzeugen vorgenommen werden wie einem Klein-Lkw oder je nach Entfernung einem Lastenfahrrad – und natürlich fahren beide mit Elektroantrieb.
Atif Askar: Es gibt natürlich auch bei uns eine rege Diskussion darüber, was auf den „letzten Meilen“ passiert. Die zentrale Frage ist: Wird die Ladung an einem Hub auf drei kleinere Fahrzeuge umverteilt oder wird es ein großes Fahrzeug geben?
Weert Canzler: Man sollte auf verschiedene Szenarien vorbereitet sein, die auch eine Umstrukturierung der Transportkette bedeuten. Immer wichtiger wird, dass man in ganzheitlichen Lösungen denkt.
Teil 3: Connectivity – Wie ist der Lkw digital vernetzt?
Atif Askar: Dabei ist die Digitalisierung der elementare Baustein einer ganzheitlichen Lösung. Das Potenzial der Digitalisierung wird im Vergleich zur Elektrifizierung und zur Automatisierung unterschätzt.
Weert Canzler: Tatsächlich kann man durch eine End-to-End-Betrachtung der gesamten digitalen Wertschöpfungskette enorm viel Effizienz rausholen.
Atif Askar: Da setzen wir genau an. Welche Situation liegt heute vor? Es fahren viele Lkw leer oder nur teilbeladen – einfach weil dem Spediteur Informationen fehlen, um effizienter fahren zu können, zum Beispiel wo zusätzliches Transportgut wartet. Aber bereits heute können wir Transportprozesse nachhaltiger gestalten, indem wir Informationen digital erheben und aufbereiten.
Weert Canzler: Sie sprechen einen zentralen Punkt an – nämlich den, dass Effizienz und Nachhaltigkeit miteinander zusammenhängen. Wenn weniger Lkws fahren, weil sie besser ausgelastet sind, wenn eine Ware effizienter transportiert wird, dann sind das Rieseneffekte.
Atif Askar: Digitale Plattformen und Systeme liefern elementare Informationen wie Fahrzeugdaten und ermöglichen Handlungsempfehlungen. Damit kann der Transportprozess oder die Verfügbarkeit von Lkw durch gezielte Empfehlungen, ob ein Fahrzeug gewartet werden muss oder nicht, deutlich optimiert werden. Das muss man stärker vorantreiben, damit der Lkw aus unserem Szenario 2030 tatsächlich vollvernetzt und damit effizienter fährt. Leopold A. könnte sich per App informieren, wo sich seine Waren gerade befinden. Der Spediteur, der Lkw-Fahrer – sie haben ebenfalls alle Daten im Blick.
Weert Canzler: Wie gesagt, entscheidend für den Erfolg eines Unternehmens wird sein, dem Kunden Komplettlösungen anzubieten. In Zukunft werden Unternehmen daher vieles nicht mehr allein machen.
Atif Askar: Hier die Wertschöpfungskette zu erweitern, fasst das Richtige an. Wer heute einen Lkw kauft, der kauft das Rundum-sorglos-Paket mit Finanzierung und After-Sales dazu – wenn er möchte. In Zukunft könnte eine Ladelösung oder der über die Lebenszeit verbrauchte Strom für Elektrofahrzeuge dazukommen. In der Pkw-Welt ist das die eBox in der Garage. Für den Lkw oder Bus sähe die „Box“ halt etwas größer aus – eine Ladelösung im Depot halt.
Weert Canzler: Es könnte Teil eines Gesamtpakets sein, das man den Kunden anbietet. Strom – Ladesäulen und, und, und … und alles vernetzt. Ein interessanter Ansatz.
Atif Askar: Partnerschaften sind dafür überlebenswichtig. Wenn wir glauben, alles mit eigenen Ressourcen zu stemmen, besteht die Gefahr, dass wir zu teuer oder langsam werden. Das müssen wir bei der Digitalisierung, Elektrifizierung und Automatisierung immer mitbedenken.
Epilog
Was bedeuten die Antworten nun für das Szenario 2030? Vor allem verdeutlichen sie: Es gibt nicht die eine Lösung, sondern verschiedene Szenarien. Eines davon ist: Die Waren für Leopold A. werden 2030 am Hamburger Hafen vom Schiff mit vollautonom fahrenden Vehikeln bis zum Lkw transportiert und dort umgeladen. Anschließend fährt der Batterie-elektrische Lkw automatisiert oder sogar schon autonom auf der Autobahn bis zu einem Hub am Stadtrand Münchens. Von dort aus erfolgt die Feinverteilung mit elektrischen Verteiler-Lkw bis zu unserem Händler. Natürlich sind alle Fahrzeuge innerhalb der Lieferkette dann im Jahr 2030 vernetzt. Leopold A. weiß immer, wo sich seine Ware befindet, und der Betreiber kann jederzeit auf sämtliche Fahrzeugdaten zugreifen. Leopold A. ist zufrieden, der Spediteur auch. Das wäre eine Möglichkeit, eine Transportkette unter den Gesichtspunkten Sustainability, Connectivity, Automated Driving zu entwerfen. Was wird die Zukunft des Transports bringen? Eines ist sicher: TRATON gestaltet diese Zukunft mit. Transforming Transportation.
„Als Mobilitätsforscher hat man eine niedrigere Flughöhe als zum Beispiel ein Zukunftsforscher – d.h. wir gehen stärker in die fachlichen Details“, so Dr. Weert Canzler (59). Der promovierte Sozialwissenschaftler ist als Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung tätig. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen.
„Unser Anspruch als Industrieunternehmen muss es sein, durch Innovationen Nachhaltigkeit zu erhöhen – das bedeutet beides: Nachhaltigkeit für unsere Umwelt und Nachhaltigkeit für das Geschäft unserer Kunden durch effiziente Transportlösungen“, so Atif Askar (42). Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler ist seit 2014 bei der TRATON GROUP und verantwortet dort die Bereiche Business Development, Strategy and M&A.