Eine Industriehalle am nördlichen Stadtrand von München. Auf dem nackten Betonboden Zementflecke, an den Wänden Rohre und Leitungen. Mitten im Raum: Tischkicker und Sofalandschaft. In der Ecke steht ein Food-Truck mit veganem Angebot, in mehreren Kühlschränken stapeln sich Club-Mate und Energy-Drinks. Überall Menschen mit aufgeklappten Laptops, immer wieder in angeregte Diskussionen vertieft.

Wer hier einen Coworking-Space vermutet, denkt schon mal in die richtige Richtung. Anfang Dezember haben sich in dieser Start-up-Atmosphäre mehr als 100 interessierte Leute zu einem Hackathon getroffen. Ausgerichtet hatte ihn in diesem Fall die TRATON Marke MAN.

Für Hacker ist das IT-Studium keine Pflicht

„Wir wollen Ideen kreieren“, beschreibt Niklaus Waser das Ziel des von ihm angestoßenen Events. Waser ist seit Mitte 2019 Leiter Digital Transformation & Business Models MAN. Für die Firma ist es der erste Hackathon, für Waser nicht. Er kennt die Szene gut: „In ein Kongresshotel hätten wir die Leute nicht bekommen“, sagt er aus Erfahrung. Die Teilnehmer liebten den Industriecharakter der Veranstaltungshalle. Sie ist nur wenige Kilometer von der MAN-Zentrale in München entfernt. Sonst stehen hier die streng geheimen Prototypen von künftigen Lastwagen und Bussen, authentischer geht es also kaum.

Für einen Hackathon ist eine solche Atmosphäre die beste Voraussetzung. Die Teilnehmer  müssen sich wohlfühlen – nur so können Ideen sprudeln. So haben die 23 Teams drei Tage lang Vorschläge entwickelt, mit denen sich MAN, aber auch die gesamte Transport- und Logistikbranche digitaler aufstellen kann. Für einen solchen Wettbewerb muss man Schnelligkeit mitbringen, Teamgeist und Spaß an der Aufgabe. IT-Spezialist hingegen muss man nicht sein. Angemeldet hatten sich auch Designer, Analysten oder Wirtschaftsexperten. Ihnen waren drei Themenfelder vorgegeben: E-Mobilität, Transportlogistik sowie Fahrzeugsicherheit.

MAN arbeitet beim Hackathon mit Partnern zusammen

Ideen für die digitale Nutzung von Trucks und Bussen

„Ein Hersteller kann heute nicht nur Lkw und Busse produzieren“, erklärt Michael Kobriger, Vorstandsmitglied für Produktion und Logistik bei MAN Truck & Bus. Die Kunden erwarteten vielmehr ein umfassendes Angebot für ihre Geschäfte. Neben dem Fahrzeug suchten sie auch digitale Produkte für die tägliche Nutzung. Logistische Lösungen des Herstellers würden immer stärker gefragt. Dazu liefert die digitale Plattform RIO ein Angebot innerhalb der TRATON GROUP.

Hintergrund von Digitallösungen sind Daten. Sie waren deshalb auch beim Hackathon der Grundstoff für alle Überlegungen. Das angebotene Datenmaterial stammte von einer realen Flotte, unter anderem aus zehn elektrischen MAN-Lieferwagen, die seit Monaten täglich in Österreich im Einsatz ist. Eine Million anonymisierte Datenpunkte zu Reichweiten, Temperaturkurven oder Beladungsgrößen konnten die Hackathon-Teilnehmer nutzen und mit ihnen arbeiten. Auf dieser Basis sollten sie eine zündende Idee finden und diese möglichst weit umsetzen. Während der gesamten Arbeitszeit bekamen die Teams dazu fachkundige Unterstützung von MAN-Experten sowie von Fachleuten der Partnerfirmen Futurice, Microsoft, Accenture und Zentrum Digitalisierung Bayern.

Anwendungen vom Kunden aus denken – ein neuer Ansatz

Bei einem Hackathon sind die Teilnehmergruppen in der Regel bunt gemischt. Schließlich zählt hier nicht allein Expertenwissen, sondern die Fähigkeit, sich in vorgegebene Problemstellungen einzufinden. Die meist drei bis fünf Personen umfassenden Teams lernen sich oft erst bei einem Event kennen. Wichtig ist dann, dass sie sich rasch aufeinander einstellen, denn Erfolg gibt es nur im Team.

Beim MAN-Hackathon kamen auch drei Teams vom Veranstalter. Die Trainees und Auszubildenden von MAN hatten sich begeistert für das Event gemeldet. Sie arbeiten bei dem Nutzfahrzeughersteller in ganz unterschiedlichen Bereichen. Alle reizt die Aufgabe, neue Ideen von Kundenseite aus zu denken. „Bislang werden digitale Dienstleistungen in der Branche meist vom Fahrzeug aus entwickelt“, erklärt Niklaus Waser. Das müsse sich ändern und für eine derart veränderte Denkweise sei ein Hackathon ideal. Wo Menschen mit ganz unterschiedlichen Kompetenzen und beruflichem Hintergrund zusammenträfen, eröffne sich die Chance auf ein völlig neues Denken. Einige Teams hatten sich sogar bislang überhaupt noch nie mit Logistik beschäftigt, einem der Schwerpunkte der Veranstaltung. Das hinderte sie nicht daran, Lösungen für die geschilderten Branchenprobleme zu finden.

Die Teilnehmer nutzten jede Fläche.

Eine Jury bewertet die Teams

Nach den drei Tagen stellten sechs ausgewählte Teams ihre Idee in einer Art Speed-Dating vor. Jeder Pitch dauerte exakt fünf Minuten, weitere vier Minuten antworteten die Team-Mitglieder auf Fragen der Jury. Die bestand aus Fachleuten der teilnehmenden Firmen, allesamt Experten für Logistik, Transport oder IT.

Drei Teams konnten sich schließlich über Geldpreise freuen. Beim ersten Platz war das Votum ziemlich klar: Die Truppe „Flying Doctors“ räumte sowohl den Jury- als auch den Publikumspreis ab. Das Team hatte eine Software entwickelt, die Wartungszeiten für Nutzfahrzeuge verwaltet. Dabei werden anstehende Arbeiten automatisch in einer Werkstatt unterwegs gebucht, und zwar möglichst zu den Ruhezeiten des Fahrers.

Am Ende gab es zwar nur einen Sieger, aber viele weitere gute Ideen: Niklaus Waser versprach den Teams, dass sie sich auf Anrufe aus der MAN-Zentrale einstellen könnten. „Wir werden sicher den einen oder anderen Vorschlag aufgreifen, den wir heute gesehen haben“, freute sich der Manager. Den nächsten Hackathon kündigte er da auch gleich an. Er soll im Jahr 2020 starten.