Am 3. April 1898 setzte Anton von Rieppel an seinem Schreibtisch einen Brief auf. Er schrieb ihn selbst, das Ansinnen war zu wichtig, um es einer Sekretärin zu diktieren. So wichtig war der Brief, dass er ihn sogar an einem Sonntag formulierte. Am heiligen Ruhetag im kirchlich geprägten Bayern, und natürlich auch in der Maschinenbau-Actiengesellschaft Nürnberg, deren Direktor Anton von Rieppel war. „Dieser Gedanke veranlasst mich, in völlig privater, nicht autorisierter Weise bei Ihnen anzufragen“, schrieb von Rieppel, „ob Sie nicht eine Fusion der beiden Gesellschaften (…) in den Kreis näherer Erwägung zu ziehen geneigt wären.“
Die wohlformulierten Worte gingen zu Händen von Heinrich von Buz, in 150 Kilometern Entfernung Direktor der Maschinenfabrik Augsburg AG. Die direkte, höfliche Ansprache führte zum Erfolg: Beide Firmen fusionierten noch im gleichen Jahr zu einem Unternehmen, das schon bald als Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG auf der ganzen Welt bekannt wurde. Nutzfahrzeuge aus dem Hause M.A.N. – das markante Firmenkürzel wurde 1908 eingeführt – transportierten schon bald rund um den Globus Güter und Menschen. Basis für den internationalen Durchbruch des stetig wachsenden Automobil-Spezialisten jedoch waren die Fusionsverhandlungen der verantwortlichen Unternehmer Anton von Rieppel und Heinrich von Buz. „Die beiden Firmenchefs sprachen von Anfang an auf Augenhöhe miteinander, vertrauensvoll und verbindlich“, schreiben die Historiker Henning Stibbe und Matthias Georgi, Autoren des Buches „MAN. Ein Jahrhundert“. Dies war die Grundlage für die erfolgreiche Firmenfusion.
Die beiden Firmenchefs arrangierten damals nicht nur eine der ersten Fusionen der deutschen Automobilindustrie – innerhalb von gut zehn Jahren wuchs die Mitarbeiterzahl von 400 auf mehr als 12.000. Sie setzten auch den Grundstein für eine bis heute erfolgreiche Firmenphilosophie: Einen Partner zu suchen, wenn es aus unternehmerischer Sicht sinnvoll ist. Auf Fusionen und Kooperationen zu setzen, um Wachstum, Innovationskraft und Kundennähe zu stärken. So rollte 1915 auch der erste Lkw des bis dahin vor allem im Eisenbahngeschäft tätigen M.A.N.-Konzerns dank einer Kooperation mit dem Schweizer Nutzfahrzeughersteller Adolph Saurer aus dem Werk in Lindau. Auch hier führte Anton von Rieppel die Verhandlungen, mittlerweile Generaldirektor von M.A.N.
Bis heute setzt MAN immer wieder auf strategische Partnerschaften. Eine besonders beispielhafte Übernahme brachte Anfang der 70er-Jahre Erfolg. Und eine entscheidende Neuerung im Firmenlogo. M.A.N. übernahm die Büssing AG, einen Pionier der Automobilgeschichte. Gegründet als „Specialfabrik für Motorlastwagen, Motoromnibusse und Motoren“ war die Firma aus Braunschweig der erste Hersteller, der sich ausschließlich auf die Konstruktion und Produktion von Nutzfahrzeugen fokussierte. Die Fusion erfolgte mit dem nötigen Respekt vor den Leistungen des Firmengründers und Automobilunternehmers Heinrich Büssing: Mit der Übernahme wurde ab 1972 der Braunschweiger Firmenname ins Logo am M.A.N.-Kühlergrill übernommen und hielt sich dort fast ein Jahrzehnt. Der Löwe ist dort noch immer zu sehen. Das langjährige Markenzeichen aller MAN-Fahrzeuge ist ebenfalls eine Reminiszenz an die Braunschweiger Wurzeln. Der Löwe war im 12. Jahrhundert das Wappentier des Welfen-Herzogs Heinrich des Löwen und gilt bis heute als Wahrzeichen Braunschweigs – und von MAN.
Auch für die neuen Herausforderungen der Mobilitäts-Moderne sucht MAN sich stets passende Kooperationspartner. So präsentierte das Unternehmen im Februar 1970 einen elektrisch betriebenen Stadtbus, Jahrzehnte, bevor sich der Begriff „Elektro-Offensive“ in der Automobilindustrie breit machte. Entwickelt wurde das Modell 750 HO-M10 E, das in verschiedenen Städten Deutschlands bis 1979 zum Einsatz kam, gemeinsam mit Bosch, Varta und dem Energieunternehmen RWE. Der E-Bus war somit Vorreiter des neuen vollelektrischen Busses MAN Lion’s City E, der 2020 präsentiert wurde – 50 Jahre nach dem ersten Elektro-Modell von MAN. Ebenfalls mit Bosch sowie dem Bremsen-Spezialisten Knorr entwickelte MAN in den 80er-Jahren ein Antiblockiersystem für Nutzfahrzeuge, das seit 1987 serienmäßig in allen MAN-Bussen verbaut wird.
2013 schließlich war MAN Teil einer neuen Fusion. Volkswagen hatte die Mehrheitsanteile am Nutzfahrzeugkonzern übernommen. Seit 2018 ist MAN eine Marke der TRATON GROUP, gemeinsam mit Scania und Volkswagen Caminhões e Ônibus. Eine logische Entwicklung, die an einem Sonntag vor mehr als 120 Jahren in Nürnberg ihren Anfang nahm. Mit einem höflich formulierten Brief.