Die Verkehrswende, ausgerufen als Reaktion auf den globalen Klimawandel, erfordert neue, batterieelektrische Fahrzeuge, für die europaweit eine ganz neue Infrastruktur geschaffen werden muss. Gleichzeitig müssen Kunden, die angesichts hoher Anschaffungskosten beim Umstieg auf E-Lkw zögern, mit passenden Angeboten von den Vorteilen der grünen Technik überzeugt werden.
Auf zehn Milliarden Euro schätzen Experten die Kosten für den Aufbau eines europaweiten Schnellladenetzes für E-Lkw. Ein Investitionsbedarf, der für ein einzelnes Unternehmen kaum zu stemmen ist. „Uns war schnell klar: Zehn Milliarden Euro können wir nicht allein investieren, wir müssen das zusammen machen, gemeinsam mit anderen Marktteilnehmern, die vor denselben Herausforderungen stehen“, so Malte Schmitz, Head of Strategy and Business Opportunities beim Nutzfahrzeughersteller TRATON.
Milence – eine Ladeinfrastruktur für Europa
Das Ergebnis dieser Überlegungen ist Milence – ein Joint Venture von TRATON, Daimler Truck und der Volvo Group. Gemeinsam wollen die Partner bis 2027 ein Netz von 1.700 Schnellladesäulen für batterieelektrische Transportfahrzeuge in Europa aufbauen und damit einen wichtigen Beitrag zum Aufbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur leisten. Doch das ist ein ehrgeiziges Ziel, für das die beteiligten Unternehmen ganz neue Wege beschreiten.
„Milence ist kein klassisches Joint Venture, für das jedes Unternehmen ein paar Ressourcen bereitstellt“, erläutert Malte Schmitz. „Das hätte so nie funktioniert, weil wir alle nicht die Expertise für den Aufbau eines solchen Ladenetzes haben. Deswegen haben wir Milence als unabhängiges Unternehmen mit eigenständigem Management aufgesetzt. Wir bauen so Fähigkeiten auf, die wir bislang nicht hatten – und das geht nur durch Partnerschaften und Kooperationen, gegebenenfalls auch mit unseren Wettbewerbern.“
Milence ist das bislang ehrgeizigste, aber keineswegs das einzige Kooperationsprojekt der TRATON GROUP. In unterschiedlichen Initiativen überall auf der Welt suchen findige Kolleginnen und Kollegen nach Lösungen für die Transportherausforderungen von heute und morgen.
JUNA – optimaler Betrieb dank Pay-per-Use-Modell im Raum Stuttgart
Ebenfalls bereits im Erprobungsstadium ist JUNA, ein Joint Venture zwischen Scania und dem Berliner Logistik-Start-up sennder. Es adressiert das Problem, dass die hohen Anschaffungskosten für einen E-Lkw – zwei- bis dreimal so hoch wie bei einem Verbrenner – Kunden zögern lassen, auf batterieelektrische Nutzfahrzeuge umzusatteln. JUNA hat dafür ein innovatives Pay-per-Use-Modell entwickelt: Der Kunde zahlt für die Nutzung eines von JUNA bereitgestellten Elektrofahrzeugs einen festen Kilometerpreis, mit dem neben der Fahrzeugnutzung selbst auch alle Kosten für Reparatur, Wartung, Versicherung sowie digitale und analytische Services abgegolten sind. So entwickelt JUNA auf Wunsch für den Kunden etwa auch Vorschläge für die optimale Route, auf der das gemietete Elektrofahrzeug sein Ziel erreicht.
Ein Pilotprojekt im Raum Stuttgart liefert bereits vielversprechende Resultate. Der von JUNA für ein Transportunternehmen bereitgestellte E-Lkw absolviert die gleichen Strecken wie sein Vorgänger mit Verbrennungsmotor, wobei pro Jahr bis zu 93 Tonnen CO2-Äquivalent an Emissionen eingespart werden. „JUNA ist das Ergebnis der Zusammenarbeit von zwei Unternehmen mit sich ergänzendem Expertenwissen“, so Gustaf Sundell, Head of Ventures and New Business bei Scania. „Wir sind stolz auf dieses Gemeinschaftsprojekt mit sennder und überzeugt, dass es eine wichtige Rolle bei der Umgestaltung hin zu einem nachhaltigen Transportwesen spielen wird.“
ANITA – autonomer Einsatz auf einem Container-Knotenpunkt in Dornstadt bei Ulm
Auf eine erfolgreich absolvierte Pilotphase können die Entwickler von ANITA (Autonome Innovation im Terminal-Ablauf) zurückblicken, ein Gemeinschaftsprojekt von MAN Truck & Bus, Deutscher Bahn, der Hochschule Fresenius sowie der Götting KG. Auf einem Container-Knotenpunkt der Deutschen Bahn in Dornstadt bei Ulm brachten sie eine autonom agierende Sattelzugmaschine vom Typ MAN TGX 18.510 auf die Straße. Der „Newton“ getaufte Truck sollte in der realen Umgebung der Container-Umschlaganlagen mit ihren 300 bis 400 Umschlägen pro Tag reibungslos autonom fahren und dem Fahrer alle Aufgaben abnehmen – von der Entgegennahme des Auftrags, der Kommunikation mit Disponenten und Staplerfahrern bis zum vollautomatischen Aufladen und Verriegeln des Containers.
Dabei waren Aufgaben zu lösen, die weit über das fahrerlose Fahren hinausgehen: Neben der sicheren Erkennung von Hindernissen mit Lidar, Radar und neun Kameras musste auch die komplette Kommunikation digitalisiert werden. Und als besondere Herausforderung musste sich der autonome Truck unter Echtzeitbedingungen bewähren, also während des laufenden Betriebs der Container-Anlage. Eine Aufgabe, der sich „Newton“ während der sechsmonatigen Erprobung vollauf gewachsen zeigte. „Wir haben unsere Projektziele erreicht“, so das Fazit von MAN-Entwicklungsvorstand Dr. Frederik Zohm. „Wir haben mit ANITA einen Mehrwert geschaffen, indem wir viele kleine Bausteine zusammengefügt haben. Das ist ein großer Schritt für den zukünftigen Einsatz autonomer Lkw.“
„Wir haben unsere Projektziele erreicht. Wir haben mit ANITA einen Mehrwert geschaffen, indem wir viele kleine Bausteine zusammengefügt haben. Das ist ein großer Schritt für den zukünftigen Einsatz autonomer Lkw.“
Dr. Frederik Zohm, MAN Chief Development Officer ,
BeIntelli – ein autonomer Linienbus für Berlin
Auf einen ähnlichen Erfolg hofft die Entwicklungsabteilung von MAN auch in Berlin, wo demnächst ein autonom fahrender Bus zum Einsatz kommen soll. Im Rahmen des schon 2021 gestarteten Gesamtprojekts „BeIntelli“ soll der zwölf Meter lange, aufwendig umgebaute MAN Lion‘s City 12 E ab Frühjahr 2024 auf einer Strecke zwischen City West und Adenauer Platz, vorbei am Brandenburger Tor, verkehren. Mit an Bord ist in der Testphase noch ein menschlicher Fahrer, der bei Bedarf eingreifen kann, sowie zeitweise auch ein Erklärteam, das Fahrgästen die Technik des mit rund 60 Sensoren sowie diversen Kommunikationskomponenten ausgestatteten Fahrzeugs erläutert. Kooperationspartner für MAN sind bei diesem Projekt die Technische Universität Berlin sowie die IAV GmbH Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr.
„Digitalisierung und Software werden immer wichtiger werden – Bereiche, die nicht unbedingt unsere Kernkompetenz sind. Wir müssen also künftig noch viel stärker auf Partnerschaften mit Unternehmen setzen, die in diesen Bereichen stark sind und mit denen sich neue Transportlösungen entwickeln lassen, die auch von unseren Kunden nachgefragt werden.“
Malte Schmitz, Head of Strategy and Business Opportunities at TRATON,
Für Malte Schmitz steht fest, dass die Entwicklung der Transportbranche in Zukunft noch stärker auf solche Partnerschaften ausgerichtet sein wird: „Digitalisierung und Software werden immer wichtiger werden – Bereiche, die nicht unbedingt unsere Kernkompetenz sind. Wir müssen also künftig noch viel stärker auf Partnerschaften mit Unternehmen setzen, die in diesen Bereichen stark sind und mit denen sich neue Transportlösungen entwickeln lassen, die auch von unseren Kunden nachgefragt werden. Denn eines ist auch klar: Die Transportbranche hat eine hohe Relevanz für jeden Menschen, denn alle Güter unseres täglichen Lebens müssen transportiert werden – und landen dabei unweigerlich am Ende immer auch auf einem Truck.“