TRATON: Herr Nielsen, als CTO koordinieren Sie die Aktivitäten der TRATON GROUP im Bereich Forschung und Entwicklung (F&E). Was genau tun Sie?
Nielsen: In unserem Team fördern wir die technische Zusammenarbeit zwischen unseren Marken. Das heißt, wir vermeiden Verdopplungen, indem wir Lead-Engineering-Entscheidungen auf die Marken übertragen. Synergien gewährleisten wir, indem wir Technologien in der gesamten Gruppe wiederverwenden.
TRATON: Warum ist das wichtig?
Nielsen: Wir möchten unseren Kunden Vorteile verschaffen. Dazu müssen wir schnell und preiswert sein. Synergien schaffen heißt, weniger Ressourcen zu verbrauchen und den Entwicklungsprozess zu beschleunigen. Wir können mit neuen Technologien schneller auf den Markt gehen und zugleich unsere konventionellen Plattformen auf den neuesten Stand der Technik bringen. Das können wir uns nur erlauben, weil wir die Kosten mit den Marken teilen.
TRATON: Wie sieht das in der Praxis aus?
Nielsen: Die meiste Arbeit machen natürlich die jeweiligen Marken. Wir im Büro des CTO bilden die F&E-Organisation der Marken ab und schaffen Gesprächsforen. Einmal pro Monat trifft sich das von uns ins Leben gerufene TRATON Technical Committee. Auf einer tieferen Ebene gibt es zur Vorbereitung dieses Meetings technische Unterkomitees für alle an der Zusammenarbeit beteiligten technologischen Bereiche.
TRATON: Sie haben den Begriff „Lead Engineering“ verwendet. Was bedeutet das?
Nielsen: Das bedeutet, dass eine quasi führende Marke die Hauptverantwortung für die Entwicklung einer Plattform oder technischen Komponente für alle anderen Marken trägt. Die Marke ist dafür zuständig, sämtliche Anforderungen innerhalb der Gruppe zu berücksichtigen. Sie hat sicherzustellen, dass die Entwicklungen zu den Kunden aller Marken passen. Die anderen Marken sind dann dafür verantwortlich, diese Plattform für ihre Fahrzeuge anzupassen.
TRATON: Wie entscheiden Sie, wer die Führung übernimmt?
Nielsen: Wir setzen auf die Stärken der Marken. Das heißt auf jene Bereiche, in denen sie mehr Kapazitäten und mehr Kompetenzen besitzen. Uns geht es darum, diese zu nutzen, indem wir ihnen die Führungsrolle geben.
TRATON: Bedeutet die gemeinsame Entwicklung von Plattformen und Komponenten, dass die Marken immer ähnlicher werden?
Nielsen: Das ist ein Risiko, das wir zu bedenken haben, denn wir möchten keine identischen Marken schaffen. Daher müssen wir als Ingenieure Lösungen zur Aufrechterhaltung der Markenidentitäten finden. Das gilt insbesondere für die gemeinsamen Plattformen.
„Eine starke Gruppe besteht aus starken Marken. Und die haben wir.“
Anders Nielsen, CTO TRATON
TRATON: Das hört sich nach viel Arbeit an ...
Nielsen: Natürlich. Aber die Basis für eine starke Gruppe sind starke Marken. Und die haben wir. Allen Mitarbeitern innerhalb der Fachabteilung sollten daraus Chancen erwachsen. Das ist nun unsere Aufgabe.
TRATON: Und wie läuft das bisher?
Nielsen: Vier Marken sind an dieser Zusammenarbeit beteiligt. Das bedeutet: Vier verschiedene Unternehmenskulturen, vier verschiedene Länder und 7.000 Ingenieure, die alle eine eigene Sichtweise auf die Dinge haben, treffen aufeinander. Diese multikulturelle Kombination ist natürlich eine Herausforderung. Doch sie ist auch von hohem Wert, wenn wir begreifen, wie wir vorzugehen haben.
TRATON: Und wie werden Sie das erreichen?
Nielsen: Wir sollten dieser Multi-Marken-Kooperation unvoreingenommen begegnen. Unser CFO Matthias Gründler pflegte stets zu sagen: Es ist so, als ob Sie in einem Fußballclub und zugleich in der Nationalmannschaft spielen. Es bestehen Verpflichtungen beiden Teams gegenüber, die sich jedoch nicht widersprechen sollten. Der Wettbewerb findet außen statt, nicht im Inneren. Abgesehen davon ist es ein erhebendes Gefühl, einen Motor für die Gruppe zu entwickeln, der weltweit in mehreren Hunderttausend Stück pro Jahr eingesetzt wird.
TRATON: Auch wenn die Gruppe noch recht jung ist, verfolgt sie doch ein ehrgeiziges Ziel. Wo stehen Sie heute?
Nielsen: Das ist richtig. Vor zwei Jahren haben wir praktisch nicht existiert. Mittlerweile haben wir die komplette Organisation aufgebaut und eine Struktur geschaffen, in der wir uns begegnen. Wir haben einen gemeinsamen Fahrplan für die ACE-Technologien entworfen, um selbstfahrende, vernetzte Elektrofahrzeuge zu entwickeln. Zudem werden wir in den kommenden drei bis fünf Jahren neue Produkte auf den Markt bringen. Ich würde sagen, die Zusammenarbeit zwischen den Marken ist auf dem richtigen Weg!
TRATON: Und ab wann werden Sie volles Potenzial fahren?
Nielsen: Wir intensivieren die Zusammenarbeit Jahr für Jahr. Ich bin sicher, dass innerhalb von nur zwei oder drei Jahren Produkte auf den Markt kommen, die auf einer gemeinsamen Technologie basieren. Dann werden wir auch genau wissen, was wir als Gruppe erreichen können.
Ein Ausblick in die Zukunft

TRATON: Herr Nielsen, wie sieht für Sie der Truck der Zukunft aus?
Nielsen: Die Möglichkeiten, einen selbstfahrenden, vernetzten, elektrisch betriebenen Truck zu entwickeln, sind unbegrenzt. Tatsächlich schränkt unsere Vorstellungskraft das Bild von der Zukunft am meisten ein. Ich bin sicher, dass unsere Trucks in 30 Jahren sehr anders aussehen werden als heute. Doch die Veränderungen werden schrittweise vonstattengehen.
TRATON: Wie weit entfernt sind wir von Ihrem Truck der Zukunft?
Nielsen: Aus rein technischer Sicht wird es noch etwa drei bis fünf Jahre dauern, bis wir dazu in der Lage sein werden, etwas Selbstfahrendes zu entwickeln, das komplett anders aussieht. Zunächst wird es Einsatzmöglichkeiten in geschlossenen Bereichen wie im Bergbau oder beim Hafenumschlag geben. Es wird auch schon sehr bald Advanced-Driver-Assistance-Systeme geben, die dem Fahrer mehr Schutz und Sicherheit im Verkehr verleihen. Bis selbstfahrende Fahrzeuge in städtischen Regionen oder auf Autobahnen verkehren, wird es eher noch fünf bis zehn Jahre dauern. Das hängt jedoch sehr stark davon ab, wie sich die Gesetze und Bestimmungen verändern.
TRATON: Und wie steht es um E-Mobilität und digitale Services?
Nielsen: Digitale Services gibt es jetzt. Die Elektrifizierung ist stark von der technischen Entwicklung von Komponenten wie Batterien abhängig. Bei einigen Anwendungen wie Stadtbussen sind wir da gerade in der Umsetzung. Bei anderen Anwendungen wie Langstreckenfahrten stehen wir noch vor größeren Herausforderungen.