Angesichts der immensen CO₂-Emissionen des Transportsektors muss und wird der Diesel-Lkw nach mehr als einem Jahrhundert Dominanz aus unserem Straßenbild verschwinden. Vor allem zwei elektrischen Alternativen wird seine Ablösung zugetraut: dem Batterie- und dem Wasserstoff-Antrieb. Wasserstoff wird derzeit stark vorangetrieben. Auch bei TRATON, einem der weltweit führenden Nutzfahrzeughersteller, rechnen wir mit einer Transformation Europas hin zur Wasserstoffwirtschaft – insbesondere in schwer zu dekarbonisierenden Industrien, etwa in Stahlwerken. Doch im Lkw-Verkehr, gerade auf der Langstrecke, werden reine E-Lkw in den meisten Fällen die günstigere und umweltfreundlichere Lösung sein. Denn der Wasserstoff-Lkw hat einen entscheidenden Nachteil: Nur etwa ein Viertel der Ausgangsenergie fließt in den Antrieb, drei Viertel gehen durch Umwandlungsverluste verloren. Beim E-Lkw ist das Verhältnis umgekehrt.

Nicht einmal importierter Wasserstoff – und sei es via Pipeline aus einem hocheffizienten Solar-Wind-Hybridkraftwerk in Nordafrika – kann den daraus resultierenden Nachteil bei den Energiekosten ausgleichen. So wird jenseits regionaler Nischen selbst aus Produktionskosten von einem Euro je Kilo Wasserstoff, wie sie manche Studie erwartet, schnell ein Tankstellenpreis von vier Euro je Kilo. Besonders herausfordernd wird es, diesen Wert europaweit in ausreichenden Mengen zu erreichen: Allein der Bedarf der Stahlwerke übersteigt bereits die gesamte derzeit für 2030 geplante Produktionskapazität an grünem Wasserstoff. Außerdem werden langfristig wohl auch auf Wasserstoff Abgaben anfallen, wie heute schon auf Diesel und Strom.

Doch selbst mit vier Euro je Kilo wäre der Wasserstoff-Lkw nicht wettbewerbsfähig mit einem E-Lkw. Das liegt daran, dass Lkw intensiv genutzte Investitionsgüter sind, deren Treibstoffkosten den Anschaffungspreis weit übersteigen. Je besser die Fahrzeuge ausgelastet sind, umso größer wird der Energiekostenvorteil der E-Lkw. Die oft geäußerte Meinung, Wasserstoff-Lkw seien etwas für die Langstrecke, und E-Lkw nur für die Kurzstrecke, erscheint damit unhaltbar. Entscheidend für die Wirtschaftlichkeit eines E-Lkw ist vielmehr eine regelmäßige, intensive Nutzung. Und die gibt es gerade im Schwerlastfernverkehr.

Insgesamt dürfte ein typischer schwerer E-Lkw in Europa bei den Gesamtkosten bereits 2025 vor einem konventionellen Diesel-Lkw liegen. 2030 kann der prozentuale Vorteil schon zweistellig sein, was den Diesel-Lkw zunehmend auch ökonomisch marginalisiert. Voraussetzung ist allerdings eine flächendeckende Schnellladeinfrastruktur, ausgelegt auf die 45-minütige Pause eines Fahrers nach viereinhalb Stunden Fahrzeit. Das Laden muss dabei nicht einmal teuer sein. Für den Nutzer sind nicht die absoluten Kosten der Infrastruktur wichtig, sondern die Kosten pro Kilowattstunde Strom – und die werden maßgeblich von der Auslastung bestimmt. Im Vergleich zur eher mäßigen Wirtschaftlichkeit von Pkw-Schnellladern, die für extreme Nutzungsspitzen in den Ferien gerüstet sein müssen, ist das Verkehrsaufkommen von Lkw gleichmäßig und planbar.

Doch die meisten Studien zur Zukunft des Lkw werden für Kunden aus der Wasserstoffwirtschaft erstellt – viele davon unterschätzen den E-Lkw. So wird, auf Pkw-Modellen aufbauend, die Ruhezeitregelung oft nicht berücksichtigt und Schnellladen gar nicht erst erwogen, was zu hohen Batteriekosten und Nutzlastverlusten führt. Ebenfalls verbreitet ist die Annahme, Lkw würden – anstelle günstigerer gewerblicher Tarife – teuren Haushaltsstrom nutzen. Auch die Batterie wird immer wieder unterschätzt: Sie hat bereits heute ein Preisniveau und eine Lebensdauer erreicht, wie es einige dieser Studien erst nach 2030 erwarten. Bei alledem geht es um objektiv falsifizierbare Annahmen, die das Ergebnis von „leichte Tendenz zum Wasserstoff-Lkw“ zu „massiver Vorteil des E-Lkw“ verschieben. Das ist durchaus keine akademische Frage. Diese Studien beeinflussen, welche Infrastruktur aufgebaut wird: Ladesäulen für E-Lkw oder Tankstellen für Wasserstoff-Lkw – eine milliardenschwere Richtungsentscheidung.

Dabei ist noch gar nicht eingerechnet, dass extrem günstig produzierter, massenhaft verfügbarer grüner Wasserstoff auch als Stromspeicher nutzbar wäre: zur Angleichung von Angebots- und Lastspitzen, mit Wärmekopplung sogar zur Rückverstromung. Durch die damit sinkenden Strompreise würden nicht nur mehr Wasserstoff-Lkw, sondern insbesondere auch mehr E-Lkw verkauft. Darüber hinaus sind selbst bei herkömmlichen Batterien perspektivisch 1.000 Kilometer non-stop denkbar. Festkörperbatterien, mit etwas Glück Ende der 2020er-Jahre serienreif, könnten künftig in zehn Minuten geladen werden: so schnell wie ein Diesel-Lkw. Damit ist der E-Lkw nicht nur die Hauptlösung für dieses Jahrzehnt, sondern mehr noch für die fernere Zukunft: der Vorsprung gegenüber dem Wasserstoff-Lkw wächst sogar. Das gilt für die Wirtschaftlichkeit des E-Lkw – und damit den Joghurtpreis im Supermarkt – , aber auch seinen ökologischen Fußabdruck. Mit demselben Windrad können bei passender Speicherinfrastruktur dreimal mehr E-Lkw als Wasserstoff-Lkw betrieben werden. Gleichzeitig können schon bald mit moderatem Energieeinsatz weit über 90 Prozent der Batterie recycelt werden – wieder und wieder.

Selbst mit dem aktuellen Strommix gäbe es kaum eine andere Maßnahme, die mit derart geringen Investitionen derart hohe CO₂-Reduktionen erreichen würde wie die Einführung von E-Lkw. Nicht zuletzt könnte damit der kostbare Wasserstoff vermehrt für andere Industrien aufgespart und bei Lkw sehr viel bewusster eingesetzt werden. So eignet sich der reine E-Lkw bestens für konstante Langstreckennutzung, zeigt aber Schwächen, wenn er unregelmäßig und flexibel eingesetzt werden muss. Solange es keine flächendeckende Ladeinfrastruktur gibt, kann Wasserstoff hier unter anderem als „Range Extender“ genutzt werden. Aber auch Regionen mit besonders günstigem Wasserstoff sollten eine Rolle spielen, in Europa etwa rund um Nordsee-Windparks oder Importhäfen.

All das bedeutet, dass sich Wasserstoff-Lkw in den nächsten zehn Jahren zwar in immer mehr Anwendungen am Markt etablieren werden, parallel aber zunehmend durch immer alltagstauglichere E-Lkw verdrängt werden, weil diese schlicht billiger im Unterhalt sind. Der Vergleich mit dem Pkw macht es noch deutlicher. Wer das E-Auto als künftigen Mobilitätsträger ansieht, sollte erst recht an den E-Lkw glauben: Er punktet mit weit niedrigeren Strom- und Schnellladekosten, einer regelmäßigeren, intensiveren Nutzung und einem entsprechend rasch amortisierten CO₂-Rucksack. Wasserstoff wird in unser aller Leben noch eine große Rolle spielen. Doch die Wunderlösung für nachhaltigen Straßengütertransport ist er nicht. Gerade im Fernverkehr gehört dem reinen Elektroantrieb die Zukunft.

Portrait von Matthias Gründler, dem Vorstandsvorsitzenden TRATON SE

Matthias Gründler

Matthias Gründler ist ehemaliger Vorstandsvorsitzender der TRATON SE, einem der weltweit größten Hersteller von Lkw und Bussen. Zuvor war Gründler Finanzvorstand der TRATON-Vorgängergesellschaft Volkswagen Truck & Bus.

Andreas Kammel

Andreas Kammel verantwortet die TRATON-Strategie für alternative Antriebe und autonomes Fahren. Er legte seinen Master in Physik bei Stephen Hawking ab. Nach seiner Promotion war er als Berater für McKinsey und als Autor tätig.