Für die Mobilität der Zukunft entwickelt Scania autonom fahrende Busse. In Barkarby, einer Gemeinde rund 20 Kilometer nördlich von Stockholm, entsteht eine völlig neue Verkehrsinfrastruktur. Die perfekte Kombination für einen Testbetrieb.

Text: Mathias Heerwagen

Ob Busfahrer es nun gerne hören oder nicht: Autonome Busse werden sicherer fahren, als es der Mensch am Steuer jemals könnte. „Der Computer wird niemals zu schnell fahren, er ist niemals müde oder abgelenkt, er erkennt Gefahren deutlich früher und reagiert sehr viel schneller“, sagt Camilla Lood, die bei Scania in Södertälje Geschäftsmodelle für autonome Fahrzeuge entwickelt. Sie sitzt im Prototyp eines batterieelektrisch angetriebenen Scania Citywide LF.

Nein, der Bus fährt noch nicht autonom. Das beunruhigt die Projektpartner jedoch keineswegs, denn es gibt im Prinzip auch die Stadt noch nicht, in der er später unterwegs sein soll. Barkarby, eine kleine Gemeinde etwa 20 Kilometer nördlich von Stockholm, wird derzeit auf die Zukunft vorbereitet. Ähnlich wie in China, wo Millionenstädte von Grund auf neu geplant und gebaut werden, entsteht hier gerade ein Stadtzentrum – allerdings in deutlich kleinerem Maßstab. „Barkarby ist der perfekte Ort für die Entwicklung und Erprobung von autonomen Fahrfunktionen“, sagt Lood und erklärt: „Alles wird gerade erst geplant und gebaut. Die neue Infrastruktur wird von Anfang an darauf ausgelegt, möglichst ohne Auto und dafür mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein.“ Damit so ein Projekt gelingt, müssen viele Zahnräder ineinandergreifen: Die Gemeinde Barkarby baut die nötige Infrastruktur auf, Scania entwickelt die Busse und die Verkehrsgesellschaft Nobina betreibt sie.

Der Scania-Projektmanager Martin Ottensjö in einem Autonomen Bus.

Scania Projektmanager Martin Ottensjö sieht eine rasante Entwicklung in der Sensorik.

„Wir müssen keinen komplett neuen Bus bauen, sondern können die bestehende Plattform als Basis nutzen und die Technik für das autonome System nachrüsten.“
Martin Ottensjö
Technischer Projektmanager, Scania
200
Ingenieure arbeiten bei Scania im Bereich des autonomen Fahrens.

„In Barkarby werden unter anderem separate Busspuren gebaut. Wo das nicht möglich ist, statten wir die Ampeln mit Sensoren aus, die mit dem Bus kommunizieren und ihm Vorfahrt gewähren“, sagt Daniel Mohlin. Der Manager ist bei Nobina für die Implementierung neuer Services zuständig. „Die Infrastruktur ist der sichtbarste, aber auch teuerste Teil des Projekts. Wenn die Busspuren und Ampeln fertig sind, dann arbeiten wir einen Fahrplan aus – und dann kann der autonome Bus in Betrieb gehen“, sagt Mohlin.

Bis es so weit ist, werden auch die nötigen rechtlichen Genehmigungen erteilt sein, sind sich die Partner sicher. „Schweden hat eine lange Automobiltradition. Um weiterhin weltweit erfolgreich zu sein, muss der Gesetzgeber nach vorne schauen und für neue Dinge offen sein“, sagt der Nobina-Manager zuversichtlich. Zudem habe es im Genehmigungsprozess keine größeren Schwierigkeiten gegeben, als vor zwei Jahren bereits ein Testbetrieb mit kleineren autonomen Shuttles gestartet wurde.

Bestehende Plattform als Basis

Warum startet Scania zu Testzwecken nicht ebenfalls zunächst mit kleineren Shuttlebussen, sondern gleich mit einem zwölf Meter langen Linienbus? „Weil es das Produkt ist, das die Verkehrsgesellschaften und Kunden bereits kennen und schätzen“, antwortet Lood, „wobei wir in Zukunft noch viel mehr multimodale Systeme und Kombinationen sehen werden, um zu einem attraktiven öffentlichen Transportangebot zu kommen – die Mikromobilität eingeschlossen.“ Ihr Kollege Martin Ottensjö ergänzt: „Wir müssen keinen komplett neuen Bus bauen, sondern können die bestehende Plattform als Basis nutzen und die Technik für das autonome System nachrüsten.“ Das ist allerdings keine leichte Aufgabe. 200 Ingenieure arbeiten bei Scania im Bereich des autonomen Fahrens. Die größte Herausforderung liegt darin, Prioritäten zu setzen und diese in der richtigen Reihenfolge abzuarbeiten. Auch die rasante technische Entwicklung im Bereich der Sensorik erleichtert die Arbeit nicht unmittelbar: Bis zum Serienstart dürfte die Technik noch einen deutlichen Entwicklungssprung machen. Deshalb wird die exakte Sensorkonfiguration, bestehend aus Kameras sowie Radar- und einen Lidar-Sensor, so spät wie möglich festgelegt.

Nobina-Manager Daniel Mohlin im Gespräch mit seinen Scania-Partnern Camilla Lood und Martin Ottensjö

Nobina-Manager Daniel Mohlin (links) im Gespräch mit seinen Scania Partnern Camilla Lood und Martin Ottensjö.

„Die Infrastruktur ist der sichtbarste, aber auch teuerste Teil des Projekts.“
Daniel Mohlin
Manager bei Nobina

Schon jetzt ist der Bus gespickt mit Sensoren. Allein an der Front zählt man acht Kameras und drei Lidar-Sensoren, vorne seitlich oben zwei weitere Lidar-Sensoren und zwei Kameras sowie unten an den Ecken noch einmal jeweils einen Radar- und Lidar-Sensor. Das Heck ist ähnlich bestückt. Auffällig ist, wie unauffällig Scania die Technik integrieren konnte. Einem normalen Fahrgast würde sie wohl kaum auffallen. Auch das ist Teil der Strategie: Passagiere sollen die autonomen Busse künftig als etwas völlig Normales im Straßenverkehr wahrnehmen.

Während die Sensoren bereits montiert sind, ist der Schaltschrank, in dem die vielen Kabel zusammenlaufen, noch leer. Die Entscheidung, welcher Zentralrechner verwendet wird, ist noch nicht gefallen. Fest steht, dass die Hardware enorm leistungsfähig sein muss, um die gewaltige Datenmenge der Sensoren nahezu in Echtzeit zu verarbeiten. In Zukunft soll das auch mithilfe von künstlicher Intelligenz geschehen. „Die Fahrzeuge müssen ihre Umwelt noch besser wahrnehmen, um beim Fahren zu intelligenten Entscheidungen zu kommen – sowohl aus Sicherheitsgründen als auch, um die Fahraufgabe proaktiver wahrnehmen zu können“, sagt Lood.

Nahaufnahme von Sensoren

Damit ein Bus autonom fahren kann, braucht es viele Sensoren – auch ganz unten und ganz oben am Fahrzeug.

Bus Scania Citywide LF.

Prototyp des batterieelektrisch angetriebenen Scania Citywide LF.

Der Fahrer wird nicht ersetzt

Hier offenbart sich eine Erkenntnis, zu der Nobina durch den Betrieb der kleinen Shuttles bereits gelangt ist: Busse und Infrastruktur funktionieren zwar, kompliziert wird es aber erst durch Falschparker, Fahrradfahrer, die in die falsche Richtung fahren, oder Autofahrer, die zu dicht vor dem Bus einscheren. Um solche Situationen sicher zu beherrschen, wird noch lange Zeit ein Sicherheitsfahrer an Bord sein.

Doch irgendwann wird sich die Frage stellen: Was passiert mit dem Fahrer, der schließlich für einen guten Teil der Betriebskosten verantwortlich ist? Laut Daniel Mohlin entfallen auf ihn im schwedischen Busgeschäft fast 60 Prozent der Gesamtbetriebskosten. Ein autonomer Bus ist nicht an Ruhezeiten gebunden und könnte rund um die Uhr unterwegs sein – das würde die Effizienz enorm steigern und Kosten sparen.

„Unser Ziel ist dennoch nicht, den Fahrer aus dem Bus zu entfernen. Aber er könnte andere Aufgaben übernehmen“, sagt Mohlin. Denn Passagiere werden nach wie vor Hilfe benötigen: Sie wollen wissen, welches Ticket sie brauchen und wo sie aussteigen müssen, oder sie brauchen Unterstützung mit dem Rollstuhl. Zudem fühlen sie sich sicherer, wenn sie nachts nicht allein im Bus sitzen müssen. Persönlichen Kontakt zu den Fahrgästen wird es also auch in Zukunft noch geben. Wie genau das aussehen wird, daran arbeiten Camilla Lood, Martin Ottensjö und Daniel Mohlin gemeinsam.

Bus-Gespräche: Daniel Mohlin und Camilla Lood.

„Die Fahrzeuge müssen zu intelligenten Entscheidungen kommen.“
Camilla Lood
Business Development Manager, Scania
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