Seit dem Jahr 1996 baut Volkswagen Caminhões e Ônibus Trucks, Lieferwagen und Busse mit dem Produktionskonzept des „Consórcio Modular“. Dabei sind die Zulieferer viel stärker eingebunden als üblich. Mit Erfolg: Der Hersteller wurde damit zum Marktführer für Nutzfahrzeuge in Brasilien. Jetzt wird das Konzept auf die Produktion von Elektrofahrzeugen ausgeweitet. Ab 2020 läuft mit dem e-Delivery der erste elektrifizierte Stadttransporter des Kontinents vom Band.

Text: Alexander Busch

Zu einer der innovativsten Truck-Fabriken der Welt fährt man wie mit einer Zeitmaschine. Auf der Fernstraße von São Paulo nach Rio de Janeiro dröhnen die Lastwagen. Am Straßenrand zieht ein Ochse den Pflug durch ein Bohnenfeld, Frauen sammeln Brennholz. Plötzlich erhebt sich mitten im roten Lehmboden eine Fabrik: Weiße Hallen, ein Parkplatz für Personal, auf einer Fläche sind frisch lackierte Lkw- und Bus-Karosserien zu sehen, vom 3,5-Tonner bis zum Schwerlaster, der 63 Tonnen transportieren kann. Wir sind im Werk Resende von Volkswagen Caminhões e Ônibus angekommen.

Seit nahezu 40 Jahren produziert das Unternehmen in Brasilien große Nutzfahrzeuge. 1996 baute Volkswagen in Resende, einer Stadt mit knapp mehr als 100.000 Einwohnern zwischen Rio de Janeiro und São Paulo, eine komplett neue Fabrik. Deren Konzept war so etwas wie eine Revolution und ist bis heute einzigartig: Beim „Consórcio Modular“ teilt sich Volkswagen Caminhões e Ônibus mit seinen Zulieferern die Investitionskosten und überlässt ihnen Teile der Produktion.

Produktionsstraße des Werks in Resende

Arbeitsteilung im Werk Resende: In jedem Bandabschnitt liefern die Partner fertige Teile an und bauen sie ein.

2020
Ab Ende 2020 soll der e‑Delivery vom Band laufen.

Der Hersteller selbst ist für Modellentwicklung und Endabnahme verantwortlich. Die Arbeitsteilung ist klar geregelt: In den Bandabschnitten Chassis, Achsen, Reifen, Motoren, Kabine, Lackiererei und Kabinenausstattung liefern die Unternehmen fertige Teile an und bauen sie ein. Für jeden Abschnitt ist jeweils ein Lieferant oder ein Joint Venture von Zulieferern zuständig. Ein gelber Strich auf dem Fabrikboden neben dem Laufband zeigt an, wo die Verantwortung eines Zulieferers endet und wo die des nächsten beginnt. Mitarbeiter von Volkswagen Caminhões e Ônibus sorgen dafür, dass die Qualität zwischen den Bandabschnitten gesichert ist. Auch die Endabnahme liegt bei der Marke der TRATON GROUP. Damit wird sichergestelllt, dass ein Fahrzeug nach Volkswagen Standard vom Band rollt, obwohl die Montage in der Hand der Zulieferer liegt.

Symbolbild eines Walds
Transporter des Typs e-Delivery

Lokal emissionsfreier Leisetreter: Prototyp des e-Delivery im Einsatz.

Die Vorteile des Konzepts: Die Fixkosten sind niedrig und die Rentabilität ist schon bei vergleichsweise niedrigen Auslastungsraten gewährleistet. Die Produktion kann flexibler auf unterschiedliche Marktentwicklungen reagieren, wie sie in Brasilien üblich sind. „Es ist das perfekte Fabrikkonzept für Emerging Markets“, sagt Roberto Cortes, CEO von Volkswagen Caminhões e Ônibus. „Wegen der geringeren Eigenkapitalquote sind Renditeziele schneller zu erreichen als in konventionellen Fabriken.“ In der Praxis gelang es Volkswagen Caminhões e Ônibus damit, in einem der wichtigsten Lkw-Märkte weltweit Marktführer zu werden.

Nun steht das „Consórcio Modular“ vor dem nächsten großen Schritt. In Resende soll ab Ende 2020 der e-Delivery – der erste elektrisch angetriebene Stadttransporter des Herstellers – vom Band laufen. Schon jetzt ist klar: „Die Zulieferer müssen noch stärker einbezogen werden als bisher“, sagen Walter Pellizzari Jr. und seine Kollegin Lucia Rama, die bei Volkswagen Caminhões e Ônibus die Bereiche Strategische Planung und E-Mobilität verantworten. „Denn die gesamte Infrastruktur muss um den e-Delivery herum neu angepasst werden.“

Das ganze Ökosystem der E-Mobilität mitdenken

Bisher war die Aufgabe des „Consórcio Modular“ erledigt, wenn das Fahrzeug die Fabrik verließ. Im neuen e-Consortium geht es darum, das Produkt in seinem Alltag und über den ganzen Lebenszyklus hinweg zu begleiten: Wo und wie sollen Ladestationen für Transporter und Spediteure eingerichtet werden? Wie wird die Stromversorgung für den täglichen Flottenbetrieb sichergestellt? Und wie können die gebrauchten Batterien am Ende ihres Fahrzeuglebens weiter genutzt werden? „Da entstehen völlig neue Wertschöpfungsketten für Hersteller und Zulieferer“, sagt Roberto Cortes. Derzeit werden die Verträge mit den Partnern im e-Consortium ausgehandelt.

Neben dem e-Delivery laufen in Resende acht weitere Nutzfahrzeug-Modelle vom Band. Deren Elektrifizierung soll zunächst im virtuellen Raum geplant werden. „Mit einer völlig neuen Software simulieren wir möglichst den kompletten Produktionsablauf der Fahrzeuge vorab“, erklärt Rodrigo Chaves, CTO von Volkswagen Caminhões e Ônibus. Ende 2019 beginnen die ersten Umbauten in der Fabrik in Resende.

Mitarbeiter von Volkswagen Caminhões e Ônibus im Gespräch

Mitarbeiter von Volkswagen Caminhões e Ônibus sorgen dafür, dass die Qualität zwischen den Bandabschnitten gesichert ist.

Logo des elektrischen Stadttransporters e-Delivery

Elektrischer Stadttransporter e-Delivery: In eineinhalb Jahren vom Projektbeginn zum einsatzfähigen Fahrzeug.

So wird beispielsweise mitten in der vorhandenen Fabrik eine abgeschlossene Hochspannungseinheit errichtet – als „Fabrik in der Fabrik“ –, in der Elektromotoren und Hochvoltbatterien eingebaut und angeschlossen werden können.

Schon jetzt arbeiten Ingenieure und Produktionsplaner mit Hochdruck an einem raschen Produktionsanlauf des e-Delivery. Rund 50 Kunden haben bereits ihr Interesse an der elektrischen Variante des Stadttransporters angemeldet. „Das ist schon eine gewaltige Herausforderung“, sagt Cortes, „in eineinhalb Jahren vom Projektbeginn bis zum einsatzfähigen Fahrzeug zu gelangen.“ Die Lösung liegt auch hier in dem einzigartigen Produktionskonzept. In Resende sind die Experten des „Consórcio Modular“ jedenfalls überzeugt: Modulbauweise geht auch elektrisch.