Die Attraktivität und Innovationskraft eines Unternehmens werden maßgeblich davon bestimmt, wie gut es individuelle Unterschiede seiner Mitarbeiter anerkennt. Die TRATON GROUP hat deswegen Pluralismus und Inklusion als zentrale Unternehmensgrundsätze verankert. Doch was genau ist darunter zu verstehen? Und wie werden diese Grundsätze mit Leben erfüllt? Ein Gespräch mit Sofia Vahlne, Head of Labour Affairs bei Scania, die das Programm „Pluralism & Inclusion“ bei der TRATON GROUP verantwortet.

Text: Laurin Paschek

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Zurzeit wird viel über Diversität, Pluralismus und Inklusion diskutiert. Was bedeuten diese Begriffe und wie unterscheiden sie sich voneinander?

Sofia Vahlne: Diversität bedeutet zunächst einmal die Anerkennung individueller Merkmale innerhalb einer Gruppe oder innerhalb eines Teams. Vieles kann man dabei recht schnell von außen sehen. Viel wichtiger ist für mich aber das, was man auf den ersten Blick gar nicht sieht. Da geht es eben nicht nur um Alter oder Geschlecht, sondern auch um Erfahrungen, persönliche Prägungen, den kulturellen Hintergrund und viele andere Aspekte, die uns als Menschen ausmachen. Wir definieren Diversität viel breiter, als dies bislang gemacht wird.

Deswegen benutzen Sie diesen Begriff erst gar nicht.

SV: Genauso ist es. Um zu zeigen, dass unser Ansatz umfassender ist, verwenden wir stattdessen den Begriff „Pluralismus“. Das ist neu und lässt die Menschen aufhorchen. Und genau das wollen wir erreichen. Wir haben unser „Pluralism & Inclusion“-Team konsequenterweise auch über alle Marken innerhalb der TRATON GROUP hinweg aufgestellt.
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einzigartige Sichtweisen hat die TRATON GROUP – die jedes einzelnen Mitarbeiters.

Und in welchem Zusammenhang steht Inklusion damit?

SV: In einem ausgewogenen Team gibt es beispielsweise extrovertierte und introvertierte Menschen. Das ist erst einmal so gewollt, weil sich solche Teammitglieder gut ergänzen. Doch genau hier kommt die Inklusion ins Spiel. Denn um das Potenzial solcher Teams wirklich entfalten zu können, braucht es ein Umfeld, das den Menschen erlaubt, so zu sein, wie sie wirklich sind. Wir müssen eine psychologisch stabile Situation schaffen, in der auch introvertierte Teammitglieder oder solche, die einen ganz anderen Hintergrund haben als die meisten anderen im Team, in der gleichen Weise gehört werden wie die Extrovertierten, denen wohl ohnehin meist alle zuhören.

Inklusion ist also der eigentliche Schlüssel für erfolgreiche Teams?

SV: Wenn wir es nicht schaffen, Inklusion zu leben, dann müssen wir uns über Diversität und Pluralismus erst gar nicht unterhalten. Ich will es mal mit folgendem Bild beschreiben: Wenn Diversität bedeutet, Leute zu einer Party einzuladen, dann bedeutet Inklusion, sie zum Tanzen aufzufordern. Das ist ein großer Unterschied. Ich kann mich beispielsweise noch so sehr bemühen, ein Team gleichmäßig mit männlichen und weiblichen Mitgliedern zu besetzen. Es bringt nichts, wenn dann die weibliche Perspektive nicht gehört wird. Inklusion schafft eine Unternehmenskultur, in der jeder Einzelne sich genau so einbringen kann, wie er oder sie ist.

Innerhalb der TRATON GROUP arbeiten viele unterschiedliche Menschen der Marken MAN, Scania und Volkswagen Caminhões e Ônibus zusammen. Wie hat dies das Unternehmen bereits verändert?

SV: Am Anfang war es vielleicht etwas schwierig, traditionelle Denkweisen zu überwinden. Aber wir haben recht schnell anerkannt, dass wir unterschiedlich sind. Wir haben unterschiedliche Firmenkulturen und unterschiedliche Prägungen. In unseren Diskussionen haben wir rasch gemerkt, dass dies kein Nachteil ist, sondern ganz im Gegensatz ein enormer Vorteil. Denn wir können voneinander lernen. In einer homogenen Gruppe, in der alle in ähnlicher Weise ticken, ist die Zusammenarbeit natürlich erst einmal einfacher. Wer Unterschiede anerkennt, lässt sich auf eine größere Komplexität ein und braucht vielleicht etwas länger, um eine Lösung zu finden. Aber das Resultat ist meistens besser.

„Wenn Diversität bedeutet, Leute zu einer Party einzuladen, dann bedeutet Inklusion, sie zum Tanzen aufzufordern. Das ist ein großer Unterschied.“
Sofia Vahlne
Head of Labour Affairs, Scania
Sofia Vahlne im Gespräch.

Sofia Vahlne verantwortet bei der TRATON GROUP das Programm Pluralism & Inclusion.

Welche Vorteile erwachsen denn daraus?

SV: Die einfache Antwort darauf wäre, dass eine größere Anzahl an Ideen Raum findet. Damit steigt, rein statistisch gesehen die Chance, für eine Aufgabenstellung eine optimale Lösung zu finden. Aber es ist noch mehr als das. Denn die Teammitglieder können auch persönlich eine Menge lernen, wenn Kollegen mit einem anderen Hintergrund das gleiche Problem auf ganz andere Art lösen. Den Deutschen wird ja nachgesagt, dass sie sehr strukturiert arbeiten. Das trifft sicher nicht auf jeden zu, aber wenn es solche Kollegen gibt, dann kann das ganze Team profitieren. Manche Schweden gehen das Ganze vielleicht etwas impulsiver an, auch das kann einem Team guttun. Die lateinamerikanische Perspektive kann wiederum eine andere sein und zu ganz neuen Lösungsansätzen führen. Unsere wahre Stärke liegt in der Kombination aus allem. Schließlich sind wir ein globales Unternehmen, und unsere Kunden finden wir überall auf der Welt.

Welche Rolle spielen Pluralismus und Inklusion, wenn es darum geht, neue Talente für die TRATON GROUP zu gewinnen?

SV: Wenn wir das nicht leben, wovon wir hier reden, dann wird das sehr schnell jeder wissen. Wir leben in einer transparenten Welt. Und junge Menschen suchen heute nicht nur einen Job, um Geld zu verdienen. Sie suchen einen Arbeitgeber, dessen Ziele mit den eigenen Zielen zusammenpassen. Sie wollen zu etwas beitragen, von dem sie überzeugt sind. Sie wollen sich frei einbringen können, so, wie sie sind. Genau an dieser Stelle werden die Themen Inklusion und psychologische Geborgenheit wichtig. Wenn wir das nicht bieten, dann wird es immer schwieriger, neue Talente zu finden und an das Unternehmen zu binden.
Sofia Vahlne im Interview.

Sofia Vahlne im Interview: Wichtig ist das, was man auf den ersten Blick gar nicht sieht.

Das Drachenboot-Team der TRATON GROUP in einem Dracheboot auf dem Wasser.

Drachenboot-Team der TRATON GROUP: Jeder kann sich mit seinen eigenen Talenten einbringen.

Sofia Vahlne bei der Arbeit auf einer Sitzgruppe.

Lieblingsplatz: Sofia Vahlne arbeitet gerne im offenen Raum.

Die Werte der TRATON GROUP aus Holz dargestellt.

Starke Werte, die Teams erfolgreich machen.

Das Motto des Drachenboot-Teams auf dem Rücken eines T-Shirts gedruckt.

Das Drachenboot-Team von TRATON nimmt Fahrt auf.

Wie wichtig ist es für die Innovationskraft eines Unternehmens, diese Werte authentisch zu leben?

SV: Es ist eine unabdingbare Voraussetzung. Es gibt dazu eine Theorie, die sich mit den Kosten des Nachdenkens befasst. Wenn eine Person die ganze Zeit darüber nachdenken muss, was sie nicht von sich zeigen will, dann raubt ihr das viel Energie, die dann für den eigentlichen Zweck eines Meetings nicht mehr zur Verfügung steht. Wir müssen ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem wir die Fähigkeiten eines jeden zur Entfaltung bringen, ganz egal, wie die persönlichen Veranlagungen sind. Das erfordert, dass jeder Einzelne das Gefühl hat, sich nicht anpassen oder verstellen zu müssen. Das heißt übrigens nicht, dass man sich über die Grundwerte des Unternehmens oder über Höflichkeitsregeln hinwegsetzt.

Welche konkreten Maßnahmen setzen Sie derzeit um?

SV: Wichtig ist mir zunächst: Pluralismus und Inklusion zu fördern, ist ein langer, ganzheitlicher Prozess und kann nicht direkt an Einzelmaßnahmen festgemacht werden. Aber um ein Beispiel zu geben: Wir diskutieren gerade mit unseren Managern darüber, wie sie sich ihren Verantwortungsbereich in zwanzig, dreißig Jahren vorstellen und wie divers ihr Team derzeit aufgestellt ist. Davon ausgehend analysieren sie, was zu tun ist. In den Workshops betrachten wir auch unbewusste Vorurteile, die jeder von uns hat. Wir fragen: In welcher Weise können diese unbewussten Vorurteile unsere Entscheidungen beeinflussen, die wir jeden Tag treffen? Wir versuchen gewissermaßen, diese Vorurteile aus dem Unterbewusstsein hervorzuholen.

Wie gehen Sie mit Zweiflern um, die Pluralismus – vielleicht auch nur hinter vorgehaltener Hand – ablehnen?

SV: Grundsätzlich hat jeder das Recht zur freien Meinungsäußerung. Kritik von vornherein zu verbieten, würde unser Konzept von Pluralismus und Inklusion ja sofort ad absurdum führen. Wir sind bereit zur Diskussion. Am Arbeitsplatz gilt aber ungeachtet dessen, dass jeder seine Kollegen und Kunden respektiert. Die TRATON GROUP hat Unternehmensgrundwerte, die für jeden verbindlich sind. Pluralismus und Inklusion gehören unbedingt dazu.

SOFIA VAHLNE,
Head of Labour Affairs, Scania, und Koordinatorin des „Pluralism & Inclusion“-Programms innerhalb der TRATON GROUP

Sofia Vahlne startete im Jahr 2005 als Arbeitsrechtlerin bei Scania und wurde 2012 zur Leiterin des Bereichs „Labour Affairs“ ernannt. Zu ihren Aufgaben gehören neben dem Programm „Pluralism & Inclusion“ unter anderem auch die Bereiche Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen, personalbezogene Nachhaltigkeit, HR Compliance, Organisationsentwicklung und Innovation. Zuvor war Vahlne als Arbeitsrechtlerin in einem Unternehmen und einem Verband tätig.

Vahlne machte ihren Abschluss als Master of Law an der Uppsala University. Vahlne hat zwei Töchter; in ihrer Freizeit widmet sie sich außerdem ihren Freunden und der ganzheitlichen Gesundheit, zu der sie unter anderem Yoga, Jogging, Meditation und gutes Essen zählt.